Bemerkungen eines Philosophen zu den Allmenden

Ulrich Steinvorth eröffnete vergangenen Donnerstag mit einem inspirierenden Beitrag den Interdisziplinären Politischen Salon „Zeit für Allmende“ der Heinrich Böll Stiftung.
Darin ging er der Frage nach, was die beiden großen „Allmendbewegungen“ (Öko- und Wissensallmende) gemeinsam haben und was sie trennt.

„Eine tiefere Gemeinsamkeit… gibt es in der wichtigen Frage, was nicht privat angeeignet werden darf. Für alle Allmendebewegungen sind es ……solche Werte, die wir entweder den natürlichen oder den kulturellen Ressourcen verdanken.“

Anders ausgedrückt: Von den produzierten Gütern darf eigentlich nur das privat angeeignet werden, was nicht Gemeinressource selbst ist. Also die Arbeitsleistung, die in der Ölförderung steckt, aber nicht das Öl als solches. Und im Umkehrschluß:

„Eine solche Gemeinsamkeit findet sich auch, wenn wir … fragen, … was man privat aneignen darf und wie man Gemeineigentum verwenden muß.“

Gemeinschaftsgüter sind nun nicht gleichzusetzen mit Gemeineigentum, aber alle Gemeinschaftsgüter gehören -gleich ob sie sich derzeit de jure in Gemeineigentum befinden oder nicht- sozusagen ursprünglich der (jeweiligen Nutzungs-)Gemeinschaft. Ich verstehe das als ein kollektives Besitzrecht an unseren Traditionen, unseren natürlichen Ressourcen, unserer Atmosphäre, an Dingen, die prinzipiell mit Anderen zu teilen sind. Besitz impliziert -im Unterschied zum Privateigentum- nicht die Möglichkeit der Veräußerung oder der Preisgabe durch Zerstörung. Auch in Gemeineigentum Befindliches kann theoretisch nur dann veräußert werden, wenn alle Miteigentümer einverstanden sind. Dieser zentrale Unterschied zwischen Besitz/Gemeineigentum und Privateigentum ist entscheidend für die Diskussion um die Commons.

Die Überlegungen, was und was nicht privat angeignet werden darf, führt Steinvorth in seinem Beitrag (wie auch in anderen Texten/ siehe Literaturverzeichnis auf diesem blog) aus, denn:

„Der Wert eines gesellschaftlichen Gesamtprodukts (ist) zusammengesetzt … aus zwei Teilen, dem Wert der Natur und Kultur, der allen gehört, und dem Wert der Arbeit, der dem Produzenten gehört. … Daher darf sich der Produzent nicht für berechtigt halten, den Gesamtwert seines Produkts anzueignen, sondern nur den seiner Arbeit. Der Wert, der der Quelle der Natur und Kultur entspringt, bleibt Gemeineigentum der gesamten Menschheit.“

Wie nun der -vom Markt unabhängige- „Allmendewertteil eines gesellschaftlichen Gesamtprodukts“ bestimmt werden kann, das ist eine der Fragen, der sich eine Diskussion um gemeinschaftsgüterbasiertes Wirtschaften wird stellen müssen.

„Langfristig“, so Steinvorth“, „entsprechen die Ausgaben für Erneuerung und Substitution der natürlichen Ressourcen und für eine Erziehung, die die kulturellen Ressourcen zugänglich macht, dem Wert der natürlichen und kulturellen Ressourcen, der durch sie zugänglich wird.“

Entlang der Frage, was wem gehört, beschreibt der Autor zudem Unterschiede zwischen „den Neoliberalen, den Sozialisten, den Fundamentalisten und der Kraft, die die Allmendebewegungen werden könnten.“ Diese Verortung der Debatte um Gemeinschaftsgüter jenseits aller -ISMEN, scheint mir der Kern des Textes.

„Wer den Markt nicht abschaffen, sondern einbetten oder einer Sache unterordnen will, … folgt nach Marx einer kleinbürgerlichen Illusion. Hier findet sich eine Abgrenzung der Allmendebewegungen nach links, die ebenso grundsätzlich ist wie die Abgrenzung von einem Liberalismus, der keine Einschränkung der Märkte erlaubt.“

Die Abgrenzung von der Idee der „unsichtbaren Hand“ (ohne die Marktwirtschaft grundsätzlich über Bord werfen zu wollen) charakterisiert in der Tat die Instrumente von Creative Commons ebenso, wie den „Skytrust“ Ansatz oder die Diskussion um die Einführung von Nutzungsentgelten für Globale Gemeinschaftsgüter (die ich bei globalen natürlichen Ressourcen für vertretbar halte.)
… und dennoch:

„Gesellschaften, die der Allmendeidee folgen, wären von den heutigen marktwirtschaftlichen Gesellschaften radikal verschieden.“ Unter anderem weil „die produktive Nutzung der Allmenden auch denen genug läßt, die sie nicht nutzen.“

Eine weitere Gemeinsamkeit verortet Steinvorth in der Rolle, die dem Individuum zukommt. Jenseits der Polarisierungen zwischen Vorrang des Individuums versus Vorrang der Gemeinschaft/Gesellschaft, macht er auf den Punkt aufmerksam, der die Individualismusdiskussion mit der Idee der Allmende zu verbinden vermag,

„(es) gibt … nicht nur den bürgerlichen, sondern auch einen Individualismus, der anerkennt, daß Individuen ihre Individualität nur in freier Beurteilbarkeit ihrer Handlungen und daher nur miteinander entwickeln können.“…“ Die Beurteilbarkeit unsrer Handlungen, damit auch unsrer Eigenschaften, hat die Eigenschaften einer Allmende: wir können sie nutzen, aber nicht individuell besitzen; wir können sie kultivieren und ruinieren, im Sprechen und Kommunizieren entwickeln oder unterdrücken, ganz wie wir frische Luft verbessern und verschlechtern können.“

Überzeugende Allmendebewegungen, meint der Autor, „wie die der freien Software und der Wikipedia folgen dem neuen Individualismus.“

Steinvorth bezeichnet die Bewegung zur Verteidigung der Wissensallmende übrigens als „Stallman-Phänomen“. Stallman ist tatsächlich ein Phänomen, wie ich mich jüngst während seines Jena-Aufenthaltes überzeugen konnte. So phänomenal, dass die Gastgeber irritiert zurückbleiben, wenn er wieder weg ist. Aber Stallman hat unbestreitbar etwas Visionäres. Vor einem Viertel Jahrhundert begann er, an der entscheidenden Stellschraube zu drehen und der „Einzäunung“, dem Wegschließen von (Software-) code mit einem eigenen -kollektiven- Softwareprojekt entgegen zu treten: Dem der Freien Software.

Damals war von der Wissensallmende, von den „commons of the mind“ (James Boyle) noch keine Rede.

Die Idee des „intellektuellen Eigentums“ lehnt Stallman radikal ab (Er lehnt schon ab, dass man dieses Unwort und sei es in Anführungszeichen überhaupt notiert.) Creative Commons tut das nicht. Es gibt große Unterschiede zwischen Freier Software, Creative Commons und der Funktionsweise der Wikipedia. Wer die kennenlernen will, muss Steinvorths Text nicht lesen.

Wer aber mehr darüber erfahren will, warum die Commondebatte das Potential hat („ durchaus revolutionäres Potential“), sich zu einem politischen Paradigma der Zukunft zu entwickeln, der sollte ihn nicht verpassen.

Was wäre eine Politik, die Gemeinschaftsgüter ins Zentrum rückt? Eine, die „Allmendeformen des Eigentums nicht nur in der Software-, sondern auch der Saatgutproduktion und den sonstigen Techniken entwickelt“, eine, „die Menschen in Kontakt bringt“, eine die „vom Allmendecharakter moderner Produktion Gebrauch machen“ kann. Welche Politik das sein könnte? Lesen Sie nach.

7 Gedanken zu „Bemerkungen eines Philosophen zu den Allmenden

  1. Sehr interessanter Artikel. Eines an seiner Argumentation pro Grundeinkommen verstehe ich nicht (obwohl ich ja selbst dafür bin). Zunächst schreibt er:

    „In jedem Fall wäre es ein Rückfall in eine neoliberale Politik, wollte man den Allmendewert
    des Gesamtprodukts den Individuen zu beliebiger Verwendung überlassen, wie es die sogenannten
    Linkslibertaristen vorgeschlagen haben. Diese erkennen an, daß natürliche Ressourcen
    großen Wert haben, wollen aber die „Überaneigner“ natürlicher Ressourcen im Verhältnis
    zu ihrer Überaneignung besteuern und aus den Steuern die „Unteraneigner“ kompensieren.5
    Abgesehen davon, daß es eine Über- und Unteraneignung im Fall kultureller Ressourcen gar
    nicht geben kann, wird diese Behandlung von Gemeineigentum ihrem Allmendecharakter
    nicht gerecht. Die natürlichen und kulturellen Ressourcen müssen nicht nur in ihrem Wert, ihr
    Wert muß auch als der von Allmenden anerkannt und für die Allmenden gebraucht werden.“

    da dachte ich erst, ah er ist gegen das BGE, dann später setzt er sich aber gerade dafür als verbindende Forderung der Allmendebewegungen ein, was ich ja unterstütze, aber dann widerspricht er doch seinem eigenen Argument hier. Was hab ich übersehn?

  2. Ne, natürlich nicht. Du schreibst nur in dem zitierten Abschnitt, dass Die Steuern oder Abgaben der Überaneigner nicht ins Grundeinkommen fliessen sollen, sondern direkt den Allmenden zu Gute kommen sollen. Später bist Du dann doch fürs BGE. Das wäre logisch stringent nur denkbar, wenn das BGE nicht von den Überaneignern bezahlt wird, sondern aus einer anderen Quelle und die Überaneigner weiter die Allmenden finanzieren. Das erwähnst Du dann aber nicht mehr und deswegen blieb der Widerspruch für mich da so stehen.

  3. Soweit ich mich erinnern kann, erwähn ich das BGE erst am Ende. Aber das ist ja nicht so wichtig, man kann den Abschnitt sicher so verstehn wie Dus getan hast. In jedem Fall braucht man doch auch was für sich und nicht nur für die Allmende, selbst wenn man nur für die Allmende leben wollte. Dafür sollte das BGE zuerst da sein, denke ich.

  4. Ich glaube nicht, dass der „Allmendewertteil eines gesellschaftlichen Gesamtprodukts” überhaupt bestimmbar ist. Den Wert gibt’s ja, nach den klassischen Ökonomen (Smith, Ricardo, Marx), nur deswegen, weil nicht direkt, sondern nur indirekt für die Gesellschaft produziert wird. Die zwischengeschaltete Indirektion ist der Markt. Alles, was keinen Markt braucht, weil es der Gesellschaft schon gehört, hat auch keinen Wert. Also auch jegliche Allmende.

    Wenn man allerdings Wert nicht streng ökonomisch, sondern mehr im Sinne von »wertvoll« und »nützlich« versteht, dann kann man aber nicht mehr mit Kategorien von Wert (und Geld) argumentieren. Deswegen kommt man IMHO mit Rechnen hier nicht weiter. Sondern die Frage ist schlicht, ob wir gesellschaftlich den Nutzen der Allmenden haben wollen oder nicht. Um also für die Allmende zu argumentieren, muss ihre gesellschaftliche Nützlichkeit aufgezeigt werden – jenseits von Markt, Geld und Staat. Sonst zeigen die Neoliberalen mit der strikten ökonomischen Logik, dass »sich Allmenden nicht rechnen«. Womit sie Recht haben. Das sollen sie auch nicht: Nutzen und Rechnen muss getrennt werden.

  5. Können wir überhaupt zwischen Allmenden und solchen Teilen in den Ressourcen einer Gesellschaft (oder der Menschheit) unterscheiden, die nicht Allmenden sind? Wenn ja, wie ich meine, dann müssen wir auch zwischen Allmendewerten und den Werten solcher Ressourcen unterscheiden, die keine Allmenden sind. Solche Werte können allerdings nicht als Tauschwerte gemessen werden, die nur der Markt misst. Sie sind vielmehr, wie Stefan sagt, Werte im Sinn von Nutzen, oder, um Marx‘ Begriff aufzunehmen, Gebrauchswerte.
    Aber heißt das, man kann nicht mit ihnen rechnen? Das wäre fatal, weil dann eine Entscheidung über den Gebrauch knapper Ressourcen, ob aus Allmenden kommend oder nicht, nur mit der willkürlichen Erklärung begründet werden könnte: das wollen wir so, darin sehen wir unsern Nutzen, basta!
    Aber selbst als Individuen entscheiden wir nicht so, wenn wir entscheiden müssen; wir begründen unsre Entscheidungen oft genug damit, daß A für uns nützlicher oder wertvoller ist als B. Erst recht müssen wir das bei ökonomischen und andern öffentlichen Entscheidungen tun. Dann müssen wir messen oder „rechnen“, was für eine Gesellschaft nützlicher oder wertvoller ist. Nutzen und Rechnen lassen sich nicht trennen.

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