Commons sind eine soziale Beziehung

Um die Definition des Begriffs commons (Allmende/ Gemeinschaftsgüter) wird gerungen. Häufig dominieren die auf’s Ökonomische verkürzten Definitionsversuche klassisch liberaler Denkweise. Von Commonstheoretikern werden diese als wenig hilfreich zurück gewiesen, da sie Gemeinschaftsgüter (in Abgrenzung zu öffentlichen, privaten oder Clubgütern) in erster Linie entlang der Kriterien von Exklusivität und Rivalität definieren. Das ist zwar notwendig aber nicht hinreichend.

Denn wer das tut, definiert nicht nur am Kern der Commonsdebatte vorbei, er gerät auch schnell ins Grübeln. Was wäre z.B. der Unterschied zwischen einem Clubgut (etwa ein Golfclub) und dem Gemeinschaftsgut Wasser? Beide sind rival, beide bedürfen der Zugangsbegrenzung (Exklusivität) zur Qualitätssicherung. Ist deshalb der Golfclub ein schützenswertes Gemeinschaftsgut?

Güter jeglicher Art lassen sich immer auch entlang anderer Kriterien kategorisieren und diese Kriterien sind mit denen der Exklusivität und Rivalität zu verschränken: etwa das der Verortung (lokal, regional oder global). Es ist für die politische Entscheidung über angemessene Managementinstrumente mindestens ebenso zentral wie die Frage, ob sich eine Ressource durch ihren Gebrauch tendenziell vernutzt (Wasser, Land), oder vermehrt (Wissen und Informationen).

Hilfreich ist auch die Frage nach der Art der Bereitstellung. Wurde ein Gut etwa ererbt (Biosphäre), kollektiv erzeugt und von Generation zu Generation weitergegeben (Sprache) oder auf Beschluß einer politischen Entität (des Staates oder einer Gemeinde) in die Welt gesetzt (Leuchtturm, Feuerwerk – als Paradebeispiele öffentlicher Güter). Aus meiner Sicht gehören nur die ersten beiden Gruppen zu den Gemeinschaftsgütern.

Eine der besten Commonsdefinitionen liefert der Antrophologe Stephen Gudeman in ‘’The anthropology of economy“. Gudeman kritisiert u.a. Elinor Ostrom, auf die ich mich normalerweise beziehe. Das Zitat ist etwas lang,  hier der Versuch einer Übersetzung:

„Ein common ist ein von der Gemeinschaft geteilter Wert oder Interessensgegenstand. (orig: A commons is a shared interest or value.) Es ist das gemeinsame Erbe. Das, was einer spezifischen Gemeinschaft überliefert wurde und bezieht sich auf alles, was zum materiellen und sozialen Erhalt derer, die eine Identität teilen, beiträgt. Land, Gebäude, Saatgutvorkommen, Handlungswissen, Transportnetzwerke, ein Bildungssystem oder Rituale. Ohne Gemeinschaftsgüter keine Gemeinschaft.

Die meisten modernen Ökonomen interpretieren materielle Gemeinschaftsgüter als etwas objektiv und unabhängig von der sozialen Entität Vorhandenes. Als etwas, das angemessen verwaltet werden könne, sofern man nur die Zugangsrechte ausdrücklich festlegt (Ostrom 1990). … Sie lesen es als von den Subjekten getrenntes Objekt.

Meine Nutzung des Commonsbegriffs ist anders als die vieler Ökonomen und Politikwissenschaftler. Für jene sind commons immer reales Eigentum, von Marktakteuren genutzt und im Marktgeschehen enthalten. Ein commons wird dann entweder definiert als open-access Ressource, frei verfügbar für alle, oder als „commons-pool-resource„, für die es Nutzungsregeln gibt (Ostrom 1990). Diese Theoretiker würden zeigen, dass es effizienter ist, die Kontrolle gewisser knapper Ressourcen durch soziale Regeln festzulegen, als sie dem Wettbewerb zu überlassen und dass auch dies den Zwecken des Marktes diene. Daher, so argumentieren sie, stimmen Marktakteure bisweilen aus Eigeninteresse der Bildung begrenzter wirtschaftlicher Gemeinschaften rund um ein Gemeinschaftsgut zu….

Meiner Ansicht nach sind Gemeinschaftsgüter materielle Güter und Wissen, welche Menschen gemeinsam haben. Sie sind nichts Physisches, sondern ein soziales Ereignis. Den Menschen Gemeinschaftsgüter zu nehmen, zerstört die Gemeinschaft und die Zerstörung einer ganzen Reihe von Sozialbeziehungen wiederum zerstört die Gemeinschaftsgüter. Ähnlich impliziert die Verweigerung des Zugangs Dritter zu den Gemeinschaftsgütern die Knüpfung von Gemeinschaftsbeziehungen – das genau geschieht bei der Zuweisung individueller Eigentumsrechte. Die sogenannte „Tragik der Allmende“ (Hardin 1968), die sich auf die Zerstörung der Ressource durch unbegrenzte Nutzung der Einzelnen bezieht, ist also keine Tragik des physischen Gemeinschaftsgutes, sondern eine Tragik der menschlichen Gemeinschaft…“

(Gudeman,Stephen: The anthropology of economy: community, market, and culture. Malden, Mass. Blackwell, 2001)

Kürzer geht’s zu auf der völlig neu gestalteten Seite von www.onthecommons.org

„The commons is everything we inherit or create together and must pass on, undiminished, to future generations.“

Mehr zum Thema, insbesondere zur Differenzierung von Ressourcen, Eigentumsregimen und ressourcenerzeugtem Reichtum hier und hier:

15 Gedanken zu „Commons sind eine soziale Beziehung

  1. Meiner Ansicht nach sind Gemeinschaftsgüter materielle Güter und Wissen, welche Menschen gemeinsam haben. Sie sind nichts Physisches, sondern ein soziales Ereignis.

    Hm, das klingt widersprüchlich: Materielle Güter sind nichts Physisches. Stimmt schon, es geht um eine soziale Form, die sich ausbildet, aber diese soziale Form hat doch auch einen Begriff. Ist es nicht sinnvoll, hier die Unterscheidung von »Besitz« und »Eigentum« zu verwenden? Also Besitz eines Gutes als soziales Verhältnis, das solange besteht, wie das Gut benutzt wird und das nicht verkaufbar ist, und Eigentum als nutzungsunabhängige formale Verfügung über ein Gut, was seine Verkaufbarkeit einschließt. Das Zitat könnte dann präziser lauten:

    Gemeinschaftsgüter sind materielle Güter und Wissen, welche Menschen gemeinsam besitzen. Das Besitzen nichts Physisches, sondern ein soziales Verhältnis.

    Na ja, der letzte Satz wird so formuliert gleich trivial, da könnte man »nicht Physisches, sondern« auch weglassen.

  2. In der Tat, Stefan, das würde ich sofort unterschreiben. Ich hätte an dieser Stelle auch beinahe „besitzen“ übersetzt. Einfach weil ich richtig finde, was Du sagst. Ich finde auch, dass Commons ausmacht, dass sie GEMEINBESITZ (nicht zwangsläufig GemeinEIGENTUM sind)

    Im Originaltext Gudemans steht:
    „On my view the commons is the material thing or knowledge a people have in common.“ Vielleicht habe ich das ja auch nicht korrekt übertragen.

    Dein letzter Satz wäre dann: „Besitz ist ein soziales Verhältnis.“ Richtig?

    Irgendwann kommt nochmal die ultimative Commonsdefinition. Ich kenn sie noch nicht, fand aber, Gudeman kommt der Sache ziemlich nah.

  3. Hm. Ich hab ein Problem mit der Verknüpfung mit „Identität“. Man kann doch sehr wohl Commons haben ohne sich gleich darüber definieren zu müssen. Ich „bin“ doch nicht das Klima oder das Wissen…

    Als steilere These würde ich vielleicht sogar vertreten, dass Commons im Gegenteil Anti-Identitär sind. Sie ermöglichen überhaupt erst den spielerischen, freien Umgang mit Identitäten, weil sie bestimmte Freiheiten eben unabhängig von einer Identität gewären. Nicht jeder soziale Umgang muß ja gleich zu einer gemeinsamen Identität führen. Vielleicht ist es aber so, dass sich Commons in einer Anti-Commons-Welt nur verteidigen lassen mit einer gemeinsamen Identität? Das ist aber eine vergiftete Verteidigung, weil der Übergang vom identitären Common zum Eigentum nur noch ein kleiner Schritt ist. Das ist doch genau der Weg auf dem der moderne Staat entstanden ist, oder? Was vorher commons war, wurde dann entweder privatisiert oder verstaatlicht und auf einmal waren wir alle „Deutschland“…

  4. Gefällt mir sehr gut, die Gudemann-Definition. Commons als soziale Beziehung. Glückwunsch.
    Stichwort Identität: ich glaube schon dass es darum geht, etwas als „unser“ zu bezeichnen. Erst wenn wir „unser“ Wasser sagen, stellen wir dazu eine Beziehung her, die eine Verantwortungs- und Nutzniesser-Beziehung zugleich ist.

    Zum „Wir sind Deutschland“-Thema: Ich denke die potentiell positive Kraft von Patriotismus ist natürlich schon, dass sich jemand für eine größere soziale Gruppe einsetzt. Es ist ja nicht ganz zufällig, dass z.B. in linken Bewegungen Lateinamerikas der Patriotismus eine große Rolle spielt. Gegenüber Eliten, die oft völlig verantwortungslos nur ich Schweizer Bankkonto im Auge haben, ist das eine progressive Position.
    Problematisch ist das „Wir sind Deutschland“ Thema natürlich, wo es dazu dient, soziale Ungleichheit zu verschleiern.

  5. @Jörg: Nein, die Problematik fängt schon vorher an. Wenn das – ja notwendig immer konstruierte „wir“ – dazu führt, dass andere ausgegrenzt werden. Es gibt keine „wir“-Identität ohne „die nicht“-Identität. Wenn Commons nur Identitär zu haben sind, dann sind sie nicht ohne Ausgrenzung zu haben, das finde ich nicht progressiv.

  6. @Benni, zu Identität: Sobald du anfängst zu unterscheiden, ob jemand eine deiner Einstellungen teilt, oder nicht, erzeugst du meines Erachtens ein „wir“. Deine Reaktionen auf denjenigen werden von diesen Unterscheidungen abhängen.

    Ausgrenzung allerdings ist nur eine der möglichen Reaktionen und nicht selbstverständlich, oder ?

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  13. @Silke Helfrich 31. März 2008
    Wurde ein Gut etwa ererbt (Biosphäre), kollektiv erzeugt und von Generation zu Generation weitergegeben (Sprache) oder auf Beschluß einer politischen Entität (des Staates oder einer Gemeinde) in die Welt gesetzt (Leuchtturm, Feuerwerk – als Paradebeispiele öffentlicher Güter). Aus meiner Sicht gehören nur die ersten beiden Gruppen zu den Gemeinschaftsgütern.

    Ich denke, dass man Staatsfixierung nicht durch prinzipielle Antistaatlichkeit ersetzen und in Hinblick auf Commons das Prozesshafte im Blick haben sollte. Also Vergemeinschaftungsprozesse (die natürlich auch nicht gut sind, weil etwas vergemeinschaftet wird, sondern entsprechend Inhalt wie Art und Weise der Vergemeinschaftung). Also wenn etwas in Richtung Vergemeinschaftung (notwendigerweise) ersteinmal staatlich verordnet ist, kann das durchaus ein (notwendiger) Schritt zur realen, offenen, freien Vergemeinschaftung sein.

    Ich schaffe es leider nicht, hier regelmäßig vorbei zu schauen. Vielleicht ist es ja schon geschehen. Aber mich würde mal eine Diskussion darüber interessieren, wie das EU Biosigel gesehen wird. Da ist ja eine – zumindest ideell – gemeinwirtschaftliche Sache (Produzierende und Konsumierende Akteure setzen gemeinsamen Standard und kontrollieren das eigenständig aber in Konkurrenz zwischen verschiedenen Verbänden) verstaatlicht worden. Neben den ganzen positiven Effekten sind aber auch staatstypische Entfremdungsercheinungen festzustellen. (Staatliche Kontrolle hat hat sein Mucken, wird auch entsprechend sozialer Kräfteverhältnisse und Partikularinteressen oder behördeninterner Vorlieben oder Zwänge ausgeübt oder auch nicht ausgeübt).

    Was wäre eine wünschenswerte Perspektive in der Sache?

    Gruß hh

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