Wem gehört das Selbermachen?

Was ich eigentlich heute machen wollte, habe ich vergessen. Ich nahm die neue Oya zur Hand und schwups – da war es wieder. Das kurzweilige Oya-Fieber. Es hatte mich schon bei vorangegangenen Nummern gepackt. Ich muss unbedingt heute Abend noch meine Begeisterung über die Ausgabe Selbermachen! öffentlich kundtun. Es geht also um’s DIY: das Do It Yourself. Besser noch: DIO: Do It Ourselves.

Das Heft kommt alles andere als angestaubt daher (falls es hier Leser_innen gibt für die „Selbermachen“ angestaubt klingt.) Und es ist lehrreich. Oder kennen Sie etwa den Unterschied zwischen kreativen Aktivisten und Kreaktivisten? Ich erfahre auch praktisch allerhand Neues. Etwa, dass man das Rad manchmal neu erfinden muss – zum Beispiel als Bambusfahrrad, das inzwischen munter durch Berlin radelt. Oder dass gut gedämmte Strohhäuser nicht gleich umfallen, wenn der Wolf kommt. Es gibt sogar einen Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V.. Ich höre von Garnbombern und Stadtsstrickern. (siehe Foto).

Verblüffend ist die Technik, mit Bindfäden Flaschen zu zersägen um aus Abfällen mit Einfällen Neues zu produzieren. Essentiell hingegen der kurze Bericht über engagierte Frauen, die anderen Menschen helfen, den letzten Abschied in die Hand zu nehmen, statt ihn den Bestattungsinstituten zu überlassen.

Ich bin hell entsetzt über die Wende in Lüchow. Die Dorfschule dort war mehr als das, was man sich unter dem Begriff vorstellt. Sie hatte sich zum Modellprojekt gemausert, es bis in den Focus und sonstwohin geschafft und vor allem gezeigt, wie die Menschen selbst ihre Lebensqualität und Infrastrukturen enorm beeinflussen können. Jetzt hat das Bildungsministerium in Meck-Pomm der Schule die Betriebserlaubnis entzogen. Oder anders gesagt: es soll ein Projekt beendet werden,

das allen Anforderungen an Dörfer entspricht, die Experten und Politiker immer wieder formuliert haben“ (Oya Nr. 6, S. 68)

Ich muss an die acht Gelingensbedingungen für Gemeingüter von Elinor Ostrom denken. Eine davon lautet, dass der Staat den Organisationsformen und Lösungen vor Ort ein Minimum an Anerkennung entgegen bringen muss. Statt commoning zu zermalmen!

Ich denke seit der Lektüre von Johannes Heimraths ‚Gedanken für eine wärmere Welt‘ nun auch darüber nach, ob vielleicht die Basttasche das Ur aller Übel ist und lerne mit der Subsistenzforschern Veronika Bennholdt-Thomsen warum nicht nur wir Frauen, sondern alle ‚hausfrauisiert‚ worden sind und was es mit dem upcyceln auf sich hat. Ich begleite Chefredakteurin Lara Mallien in die Open-Design-City Berlin und staune über Projekte, in denen Programmierer anfangen zu stricken und gleichzeitig Fab-Labs vormachen und vordenken:

Wir brauchen keine neue Einheitsgrößen Ökonomie, sondern co-kreative Räume, Ökosysteme, in denen wir uns ausprobieren. Jede Gemeinschaft kann die für sie passenden Strukturen entwickeln. Wir wissen nicht, welche Mischung aus Marke-Eigenbau-Produktion, Handwerk und industrieller Produktion genau die richtige ist. Wir können das nur ausprobieren, von unten entstehen lassen. Freilich geht das langsam, noch  nicht viele Leute haben solche Gedanken bereits auf ihrem Radar.“, sagt der Erfinder Jay Cousins vom Betahaus.

Apropos co-kreative Räume. Die Oya stellt einen Sack voller solcher Räume vor und damit eine ganze Reihe Dilletanten, die sich mit Goethe und Einstein in bester Gesellschaft befinden. Hier ist etwas Kenntnis der Wortherkunft gefragt: Ein Dilettant (> ital. dilettare und lat. delectare) ist (oder war ursprünglich) einer, der sich der Sache, die er tut erfreut. Er übt sie um ihrer selbst Willen aus, aus Interesse oder zum Vergnügen.

Seiten später schmunzele ich mit Ulrich Holbein, der über eine Zeit berichtet, in der er „schwach wurde wie ein Grashälmchen“ (hihi). Zwar träumt Holbein nach wie vor von einem Leben als Graskönig, stattdessen wurde er „halt nur Schriftsteller„. Ich danke es ihm! Und ich leide ein bisschen mit Dieter Halbach (heute Mitgestalter des Ökodorfs Siebenlinden), der vom Scheitern der Toscana-Selbstversorger-Aussteigerszene der 70er und 80er berichtet, um zu Hause der „grauen Rechtwinkeligkeit“ (Henky Hentschel) zu entgehen. Was kam war Mühsaal auf dem Zahnfleisch … und zerbrechende Beziehungen.

Halbach sorgt dafür, dass mir ein Groschen fällt. Nicht nur, weil er so einfache Dinge auf den Punkt bringt wie: Begeisterung reicht nicht zum Selbermachen, sondern weil er erklärt, dass man Selbstorganisation und Selbstversorgung nie als isolierten Hof denken darf. Darin läge vielmehr eine der Ursachen des Scheiterns der Toskana-Szene. Die allermeisten Selbstversorger-Höfe haben nach relativ wenigen Jahren aufgegeben. Halbach schreibt:

Es regierte das kleine Ich, nicht das große, verbundene Selbst. Das war – trotz weniger bleibender Freundschaften und Kooperationsversuche – die Struktur. Ironie der Geschichte: Genau diese Isolation war das Ziel der ursprünglichen Siedlungsstruktur. Damit sich die armen Pächter nicht gemeinsam gegen den Großgrundbesitz erheben konnten, wurde sie entgegen italienischer Lebensart getrennt auf den Höfen gehalten. Noch bis in die 70er Jahre mussten sie bei der Mezzadria (Halbpacht) die Hälfte ihrer Produkte den städtischen Besitzern abliefern.“

Und ich freue mich – wie immer bei Oya – über die Dauerpräsenz des Gemeingutthemas, das sich seit der ersten Nummer wie ein Faden durch die Zeitschrift zieht. Bennholdt Thomsen etwa schreibt vom urbanen Gärtnern. (Die Prinzessinengärtner inmitten Berlins sind wirklich eine Inspiration – können wir sowas nicht auf dem Jenaer Eichplatz machen, der ja gewissermaßen auch noch brach liegt. Parkplatzbrach.)

Urbanes Gärtnern zielt nicht in erster Linie gegen etwas, sondern es geschieht für etwas: Für einen grünen, nährenden öffentlichen Raum, der für alle da ist, für eine neue Allmende: <Es ist Deine Stadt, grab sie um!>“

Freilich gibt’s ein paar Dinge, die ’sind schlicht nichts für mich‘. Aber das tut meinem Fazit über die Ausgabe keinen Abbruch. Eher im Gegenteil. Es gibt Einblick in mir fremde Welten, die mit Sicherheit was für Andere Leser_innen sind.  Zudem ist das Heft gelungen illustriert.

Mein Fazit also: Selber Lesen macht Spaß! Ich werde gleich mal meine Genossenschaftsanteile bei der Oya-Medien e.G erhöhen. Denn die Zeitschrift ist ein Geschenk, das ich auch in Zukunft nicht missen möchte.

Hier geht’s zum Abo (mit einer Miniabooption) und hier zur online-Ausgabe.

Foto: Knitta on Delancey: Lizenz Creative Commons BY Noah Sussmann,

5 Gedanken zu „Wem gehört das Selbermachen?

  1. Pingback: Do It Ourselves: Oya-Ausgabe zum Selbermachen | Gemeingüter

  2. Pingback: Fabber und Stricknadeln — keimform.de

  3. Habe mir das Themenheft „Selbermachen“ auch gekauft, nachdem ich Deine Rezension gelesen habe.

    Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nach zwei gekauften Ausgaben nur noch im Internet zu lesen, aber nicht mehr Geld dafür auszugeben.

    Der Grund dafür ist, dass ich ein Problem mit der Nähe der Zeitung zu esoterischen / primitivistischen Denkformen habe. Da konnte man sinngemäß etwas darüber lesen, ob unsere Kultur von den Steinzeitmenschen lernen könne und ähnliches. Mir fehlt da die gedankliche Tiefe… ich schwanke da zwischen solidarischer Kritik und Ablehnung…

    • hallo christian,
      „Eigentlich hattest Du Dir vorgenommen,“ kein Geld mehr für die Oya auszugeben. Ich hoffe, Du hast den Kauf von „Selbermachen“ nicht bereut. 🙂 Ich verstehe ja nicht so recht, was „primitivistische“ Denkformen sind. Ich denke, wir sind erst dazu in der Lage voneinander zu lernen, wenn wir das Andere auch mal stehen lassen können und nicht gleich abqualifizieren müssen. Ich bin auch nicht mit allen Ideen einverstanden, die in der Oya vorgestellt werden (diese homeschooling-Sache zum Beispiel ist mir sehr fremd) und über den Anzeigenteil lese ich in der Regel gelassen hinweg, aber dass es der Oya an Tiefe fehlt, das empfinde ich gar nicht so. Also, wenn Du die Wertung (Vorverurteilung) rausnimmst, in welcher Beziehung fehlt es Dir dann an Tiefe?
      Herzlicher Gruß
      Silke

      • Es sollte heißen: Ich vermisse DORT die geistige Tiefe. Mir fehlte es da an sprachlicher Tiefe 😉

        Den Kauf dieser Ausgabe habe ich überhaupt nicht bereut! Warum eine Vorverurteilung? Ich habe nahezu alle Ausgaben gelesen – allerdings verfüge ich über eigene Kenntnisse und Literatur und habe daher so meine Vorbehalte. „Primitivismus“ meinte soviel wie eine Denkhaltung, die zur „Heilung“ (das Wort taucht in der Oya auf!) der Moderne auf vormoderne Lebensformen zurückgreifen will – dies ist weder neu noch unproblematisch.

        Zum Teil finde ich den Anspruch der Homeschooling-Fürsprecher problematisch, ihrem Kind alles vermitteln zu können, was es braucht. Ich kenne derartige Bestrebungen auch von christlichen Fundamentalisten und bin mehr für öffentlich ausgehandelte Erziehung/Bildung.

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