Von Habewenigern und Habemehrs: Prinzipien der Gemeingüter

Der Commonshistoriker Peter Linebaugh, hat kürzlich auf dem counterpunch über die vergessenen Prinzipien der Gemeingüter geschrieben. Eine Idee ist angetreten, die Welt zu verändern. Und die Idee ist uralt. Das fand ich wichtig genug, um eine deutsche Fassung zu versuchen. Für Korrekturen bin ich dankbar. Die Fussnoten habe ich eingefügt. Los geht’s.

Einige Prinzipien der Commons (Gemeingüter) sind unsichtbar geworden oder gingen völlig verloren, doch wir können sie zurückgewinnen

von Peter Linebaugh

Menschliche Solidarität, so wie sie in der Losung „Alle für einen und einer für alle“ ihren Ausdruck findet, ist Grundlage des „commoning“, des gemeinsamen Tuns. In der kapitalistischen Gesellschaft, gilt dieser Grundsatz allerdings nur noch im Spiel der Kinder oder in militärischen Auseinandersetzungen. Zudem taucht er,… so er nicht geheuchelt wird, im Kampf gegen den Kapitalismus auf oder, wie Rebecca Solnit zeigt, im Falle von Katastrophen: Feuer, Überschwemmung oder Erdbeben. Das commoning aber, das Gemeinsame Tun, geschieht mit anderen Mitteln. Hier gibt es keine Trennung zwischen „Arbeit“ und „natürlichen Ressourcen.“ Im Gegenteil, die Arbeit macht etwas als Ressource überhaupt erst verfügbar, und umgekehrt kommt über den Zugriff auf Ressourcen, das Kollektive der Arbeit überhaupt erst zu Stande. Als Handlung ist das commoning also am besten als Verb zu verstehen und nicht als Gemein- oder Allmendressource (commons pool resource). Sowohl Lovelock’s „Gaia-Hypothese“ als auch die Umweltschutzperspektive von Rachel Carson waren Versuche zur Wiederherstellung dieser Perspektive.

Commoning ist grundlegend für das menschliche Leben. Wissenschaftler schreiben gewöhnlich vom „primitiven Kommunismus“. Dabei machen “die ursprünglichen Gemeingüter“ klarer, worum es geht. Kaum eine Gesellschaft auf diesem Planeten, in deren Zentrum nicht die Gemeingüter stehen, auch die Ware und die mit ihr einher gehende Individualisierung und Privatisierung waren seit jeher an die Grenzen der Gemeinschaften gebunden, in denen jene streng bestraft wurden, die die Regeln verletzten.

Commoning beginnt in der Familie. Die Küche ist der Ort wo Produktion und Reproduktion zusammentreffen; der Ort, wo die Energien zwischen den Geschlechtern und Generationen täglich neu ausgehandelt werden. Die bedeutsamen Entscheidungen in Sachen Arbeitsteilung und Güterverteilung, im Erzeugen von Bedürfnissen oder dem Erhalt der Gesundheit werden zunächst einmal hier gefällt.

Commoning ist historisch. Die Dorfallmende englischer Tradition oder die „französische Kommune“ der revolutionären Vergangenheit sind Überbleibsel dieser Geschichte. Sie erinnern uns daran, dass trotz historischer Phasen der Zerstörung Teile dieser Allmende überlebt haben, wenngleich verzerrt wie in den Sozialsystemen, oder gar in ihr Gegenteil verkehrt wie in den Gated Communities der Immobilienmakler oder in den shopping-malls der Einzelhändler.

Commoning hatte schon immer eine spirituelle Dimension, so wie sie im Teilen von Speis und Trank in archaischen klösterlichen Praktiken in Verehrung des Heiligen zum Ausdruck kommt. Theophanie, oder das Erscheinen des göttlichen Prinzips, ist auch in der physischen Welt und in ihren Geschöpfen geronnen. In Nord-Amerika („Turtle Island“) wird dieses Prinzip von den indigenen Völkern gepflegt.

Commons stehen im Gegensatz zu Kapital. Commoners sind streitlustig (kein Zweifel), doch in den commons herrscht kein Klassenkampf. Klar ist auch, Kapital kann aus den commons hervorgehen, indem Teile aus den Gemeingütern gewaltsam heraus gelöst und gegen den (verbleibenden) Rest eingesetzt werden. Dies beginnt schon mit der Ungleichheit zwischen den Habewenigern und den Habemehrs. Die Produktionsmittel werden zu Zerstörungsmitteln und Enteignung führt zu Ausbeutung, zu Habenden und Habenichtsen. Kapital verhöhnt das commoning durch Ideologie in Philosophie, Logik und Wirtschaft, die behauptet, commons seien unrealistisch oder tragisch. Die Figuren der konkreten Rede leiten sich dann aus den jeweiligen Zerstörungsphantasien ab – Wüste, Rettungsboot oder Gefängnis. Sie alle gehen wie selbstverständlich von einer ahistorischen „menschlichen Natur“ aus, ein Konzept mit dem ausgedrückt werden soll, dass Kapital ewig währt.

Gemeinsame Werte müssen ständig vermittelt und erneuert werden. Die alten court leet1 lösten Streitigkeiten bei Übernutzung von Allmendressourcen, die panchayat2 in Indien taten das Gleiche, in ähnlicher Weise sollte auch der Beschwerderat in einer Fabrik arbeiten, die Jury der Geschworenen ist ein rudimentäres Überbleibsel von all dem. Hier wird bestimmt, was ein Verbrechen und wer ein Verbrecher ist. Der „Nachbar“ muss wieder unter die „Haube gebracht werden“3, wie sie in Detroit sagen, so reden auch die Volksversammlungen in Oaxaca.
Commoning war schon immer lokal. Es hat mehr mit Bräuchen, Erinnerung und mündlicher Überlieferung zur Wahrung der Normen zu tun als mit Recht, Polizei und Medien. Damit eng verbunden ist die Unabhängigkeit des Gemeinsamen Tuns von Regierung oder staatlichen Behörden. Die zentralisierte Staat wurde darüber gebaut. Commoning ist also so etwas wie „die Vorbedingung“ (für den Staat – S.H.). Commoning ist daher etwas Anderes als der sowjetische Kommunismus.

Die Commons sind unsichtbar, bis sie verloren gehen. Wasser, Erde, Feuer, Luft – das waren die historischen Stoffe zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Sie waren das archaisch Physische, auf das das Metaphysische aufbaute. Auch nachdem im England des Mittelalters damit begonnen wurde, Land zur Ware zu machen, stand geschrieben:

Aber um diese vier, Wasser oder Wind oder Geist oder Feuer zu kaufen, sei erinnert, dass der Vater im Himmel diese vier für die Erde gemeinsam geformt hat. Dies sind die wahrem Schätze, die dem echten Volk helfen.“4

Wir unterscheiden das „Gemeinsame“ vom „Öffentlichen“. Wir verstehen das ‚öffentliche‘ im Unterschied zum ‚privaten‘, und wir verstehen gemeinsame Solidarität im Gegensatz zum Egoismus des Einzelnen. Das Gemeinsame aber war seit jeher ein Element der menschlichen Produktion, auch als der Kapitalismus das Zepter übernahm und die Gesetze machte. Ein Unternehmenschef könnte nun „an Geschäfte denken“, doch auch hier geht nichts ohne gegenseitigen Respekt. Andernfalls drohen Sabotage und Schlamperei.

Commoning ist so ausschließend wie partizipativ. Man muss sich darauf einlassen. Ob auf den Almen im Umgang mit der Herde oder auf das Licht des Computer-Bildschirms und die Fülle an Daten und Wissens, oder auf das Wohl von Hirn und Hand, all dies erfordert eine Haltung und Einstellung zum Miteinander, Schulter an Schulter. Deswegen sprechen wir nie von Rechten, ohne auch die Pflichten zu erwähnen und umgekehrt.
Das menschliche Denken kann nicht ohne die Commons gedeihen. Daher der erste Zusatzartikel5 der Verfassung der Vereinigten Staaten, der unsere Rechte auf Rede- und Versammlungsfreiheit mit dem Petitionsrecht verbindet. Nunmehr wird die Wechselwirkung zwischen diesen drei Dingen offenbar, sie geht vom einsamen Murmeln zu poetischer Beredsamkeit über, angetreten, die Welt zu verändern,
Bling! Bling! eine Idee leuchtet wie eine Glühbirne, Red‘! Red‘! Erzählen Sie es Nachbarn und Kollegen, Beng! Beng! Verhelfen Sie der Wahrheit zur Macht.

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1 Eine Form der Rechtssprechung in Wales, England und Irland, in der der König die Entscheidung in Kriminalfällen einem Lord seines Vertrauens übertrug. Der court trat nur wenige Mal im Jahr zusammen.
2 Die Gram Panchayat, von denen es in Indien rund 2650.000 gibt, sind Dorf-Verwaltungsräte. Sie bilden die Grundlage des Panchayat-Systems und können in Dörfern mit mehr als 500 Einwohnern gegründet werden. Schließen sich zwei oder mehr Dörfer mit weniger als 500 Einwohnern zusammen, können diese einen gemeinsamen Gram Panchayat gründen. „Panchayat“ steht für Rat (yat) der fünf (panch) weisen und angesehenen Älteren, die von der dörflichen Gemeinschaft ausgewählt und anerkannt worden sind. Im modernen Indien sind eine Reihe von amtlichen Funktionen dezentralisiert und auf die Dorfebene übertragen worden, was die Bedeutung der gewählten Gram Panchayats gestärkt hat.
3 Etwa: Muss wieder eingebunden werden/ muss wieder Teil der Nachbarschaft werden. (Korrespondenz mit P.L.)
4 Das Zitat entstammt einem in Mittelenglisch geschriebenen Werk aus dem Jahr 1375von William Langland, genannt Piers the Plowman.. (Korrespondenz mit P.L.) Ich kann das leider nicht ins Mitteldeutsche übersetzen. :-9 S.H.
5 http://de.wikipedia.org/wiki/1._Zusatzartikel_zur_Verfassung_der_Vereinigten_Staaten
Der Originaltext des 1. Zusatzes zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika lautet:
Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.
„Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen zu ersuchen.“
Peter Linebaugh teaches history at the University of Toledo. The London Hanged and (with Marcus Rediker) The Many-Headed Hydra: the Hidden History of the Revolutionary Atlantic. His essay on the history of May Day is included in Serpents in the Garden. His latest book is the Magna Carta Manifesto. He can be reached at: plineba@yahoo.com


16 Gedanken zu „Von Habewenigern und Habemehrs: Prinzipien der Gemeingüter

  1. Vielen Dank für die Übersetzung. Sehr interessant.

    Zum Punkt b>Commoning war schon immer lokal. Es hat mehr mit Bräuchen, Erinnerung und mündlicher Überlieferung zur Wahrung der Normen zu tun als mit Recht, Polizei und Medien. möchte ich etwas ergänzen:

    Auch (das Wirken von) Polizei, Recht und Medien basieren auf lokalen Bräuchen, Erinnerungen und mündlichen Überlieferungen.
    So betreiben Polizisten oder Lehrer m.E. auch commoning, das von staatlichen oder allgemein hoheitlichen Vorgaben abweicht, sich diesen entzieht oder diesen sogar entgegenläuft.

    So geht die bayrische Polizei nach meinen Erfahrungen z.B. ganz anders mit langhaarigen Typen um, als die hamburger Polizei. Würde sie nur Gesetze oder Dienstvorschriften umsetzen, sollte das nicht passieren. Auch Lehrer widersetzen sich hoheitlichen Vorgaben, z.B. in ihrem Umgang mit Schulreformen. (Das hat Hedda Bennewitz in Ihrer Arbeit „Handlungskrise Schulreform“ schön herausgearbeitet.

    Daher hat die Aussage, dass commoning und gemeinsames Tun unabhängig von Regierung oder staatlichen Behörden sind, m.E. nicht so richtig analytische Kraft. Ich würde eher sagen: Regierung und Commoning bedingen und formen und brechen sich aneinander.

  2. „Peng! Peng!“ find ich eine unglückliche Übersetzung für „Pow! Pow!“, schließlich soll man der Wahrheit nicht mit dem Gewehr zur Macht helfen. Vielleicht „Bamm! Bamm!“ oder „Beng! Beng!“, das klingt etwas weniger militant…

  3. Mir wird immer deutlicher, wie extrem sich der Diskurs der Commons in den USA und im angelsächsischen Bereich vom Rest der Welt, insbesondere von Europa unterscheidet: Da es in den USA so gut wie keine Gemeingüter gibt, also für Nicht-Zahlende weder Sicherheit, Bildung, Gesundheit oder öffentlichen Raum, da alle Rohstoffe, das Land und das Wasser, Züge und Busse privatisiert sind, da die Politiker keine Volksvertreter, sondern persönliches Eigentum der Oberklasse sind, da es keine unabhängigen Medien gibt und das Internet Google, Apple und Microsoft gehört, gewinnt die ganze Commons-Bewegung dort den Charakter einer verzweifelten Grassroot-Opposition.
    Man ringt um winzige Bürgerrechte, die in Europa seit 1948 weitgehend verwirklicht sind.
    Aber der Egoismus, die self-interest hypothesis, hat sich in Europa nie durchsetzen können. „Commoning“ ist in vielen Staaten, etwa in Skandinavien, der Schweiz und Slowenien, aber auch in Provinzen wie Wales, der Bretagne, dem Friaul, dem Schwarzwald und in Bürgerstädten wie Hamburg, Wien und Zürich jahrhundertelang gewachsener Alltag. Die Ungleichheit ist dort – anders als in den USA – nie ein Problem gewesen. Allerdings gibt es in Europa ausser den Briten auch keine „kapitalistische Gesellschaft“ – zum Glück. Einen für Europa wertvollen Wissenstransfer kann ich im amerikanischen Commons-Diskurs nicht entdecken, denn schliesslich sind ja bei uns die Bürgerbewegungen seit Jahrzehnten in den Parlamenten. In der Regierung förderten sie dann Steinkohle und Gaspipelines, Beamtenkorruption und Bürokratie.
    Übrigens helfen gemeinsame Werte absolut nichts bei der Entwicklung der Gemeingüter, sondern zumindest die sozialen Gemeingüter leben von der Balance zwischen den Subkulturen der Postmoderne. Am geringsten sind die Gemeingüter in Staaten wie den USA, in Russland, im Irak, in Guatemala, in Indien und Pakistan, in Indonesien, Ägypten oder dem Sudan entwickelt, wo scheinbar Werte, z.B. als religiöser Machismo alleine dominieren und die Gesellschaft in korrupte Clans und Oligarchen zerfällt. US-Commonologen können gegenwärtig nichts zur Entwicklung der Gemeingüter in Europa beitragen – so lese ich diese traurige 60er Jahre Predigt von Peter Linebaugh.

  4. @Alexander: Du kannst ja mal die Bettler und Obdachlosen in Hamburg fragen, ob sie auch meinen, dass sich „der Egoismus“ in Europa nie durchgesetzt habe. Dass es in Europa keine „Kapitalistische Gesellschaft“ gäbe ist schließlich eine an Absurdität kaum noch zu überbietende Behauptung.

    Ansonsten: Sozialstaat ungleich Commons. Zum einen gibt es auch in den USA einen Sozialstaat nur ist der halt anders organisiert als bei uns und zum anderen hat eine Sozialversicherung ungefähr genauso viel mit den Commons zu tun wie Goldmann & Sachs. Die „Bürgerbewegungen in den Parlamenten“ (wen meinst Du? Sozialdemokraten? Grüne?) schließlich haben mit den Commons leider auch so gut wie nichts zu tun bis auf wenige Ausnahmen. Und sie sind in Amerika ebenso in den Parlamenten wie hier. Und das hierzulande Politiker genauso käuflich sind wie in den USA mussten wir ja auch gerade mal wieder lernen (Stichwort: Mövenpick).

    In Amerika gibt es in vielen Bereichen funktionierendere Commons als hierzulande. Nachbarschaftshilfe ist da zB. vielerorts viel selbstverständlicher. „Transition Towns“ gibt es dort mehr als hier. Die Freie Software Bewegung kommt von dort. Das Internet gehört auch in Amerika nicht mehr den Konzernen als hierzulande, in vielen Bereichen sogar weniger.

    So ziemlich jeder Satz ist falsch in Deinem Kommentar. Was bleibt? Ein Haufen antiamerikanischer Ressentiments. Sorry für die Schärfe, aber das kann man so einfach nicht stehen lassen. Seit die Commons Hype sind, meint jeder, dass das was er schon immer macht die Commons seien und das ist halt einfach oft nicht so. Aber das ist wohl die dunkle Seite der Anschlußfähigkeit, die uns ja ansonsten so freut.

  5. @ Alexander, das Commoning „jahrhundertelang gewachsener Alltag ist,“ ist ja gerade eine Kernaussage von Peter Linebaugh, der hier als Historiker schreibt und alles andere als repräsentativ ist für den us-amerikanischen Commonsdiskurs. Das hat ja auch Benni schon gezeigt.
    Ansonsten scheint es mir in Deiner Darstellung auch eine unscharfe Trennung zwischen Gemeingütern und Öffentlichen Dienstleistungen zu geben. Genau diesen Unterschied arbeitet aber Linebaugh (für mich sehr nachvollziehbar) heraus.
    @ Benni, ich hab das wohl schon öfter gesagt: die „dunkle Seite der Anschlußfähigkeit“ finde ich wenig besorgniserregend. Warum sollte etwas, das wirklich alle einbindet (auch die, die wir gern auf den Mond schießen würden) denn „dunkel“ sein? Mich besorgt nur mangelnde eigene Klarheit des Konzept, seiner Reichweite, seiner politischen Durchsetzungskraft uvm. Nur wenn wir es schaffen,selbst klar zu sein, können wir sehr genau sagen, wo Commons nicht drin sind auch wenn Commons draufstehen.

  6. @Silke ja, hast recht. nur muss man das halt jetzt öfter sagen, was anstrengend ist. Aber es hat mir ja auch niemand einen Rosengarten versprochen.

  7. @Benni: Da es bisher noch keine kontroverse Debatte um und über Gemeingüter gibt, sind derart vernichtende Urteile nicht debattefördernd. Ich würde mir wünschen, dass mehr -eben auch kontrovers – debattiert wurde. Anders kann ich mich nicht an diesem Blog aktiv beteiligen.
    Widerspruch und Kritik ja. Persönliche Beleidigungen: nein.

  8. Aus meiner Sicht hat gerade der Sozialstaat in Europa die Sicht auf die commons verstellt, weil wir – oder unsere Vorfahren – dachten, er könnte sie ersetzen. Sozialstaat ist ganz klar Versorgung und nicht Freiraum zur kollektiven Gestaltung nach selbst entwickelten Regeln. Commons heißt jenseits von Markt UND Staat! Gerade der sogenannte Sozialstaat hat unser gemeinsames Eigentum verscherbelt und nachdem das Geld knapp wird, setzt er uns einem zunehmenden Druck aus, alles was wir brauchen auf dem Markt zu erwerben, anstatt es selbst herzustellen. Employability ist das Ziel, nicht commoning.

    So gesehen ist es klar, dass der commons-Diskurs in den englischsprachigen Ländern einen anderen Verlauf nimmt, nicht weil sie ihn dringender brauchen, sondern weil sie mehr Erfahrung damit haben. Und wir haben jetzt das Problem, dass wir, wenn der Sozialstaat nicht mehr leistet, was wir von ihm erhofft haben, keine Ideen mehr haben – siehe nächsten Beitrag!

  9. Guten Tag, Frau Kratzwald! Darf ich das so zitieren? Mich würde interessieren, wie daraufhin die Idee des steuerfinanzierten, bedingungslosen Grundeinkommens noch dasteht. Über das Thema Sozialstaat vs. Commons lohnt es sich, mehr zu schreiben und zu diskutieren. Wie kommen Sie zu so avancierten Ansichten, die so gar nicht in die Ideologien passen?

    • Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis über das BGE, dass es eine Idee sei, die den Staat ermächtige. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn das Einkommen bedingungslos ist, kann der Staat seine Untertanen nicht mehr gängeln. Die Grundrechte waren immer dafür da die Macht des Staates zu begrenzen, nichts anderes will die Idee des BGE, somit ist sie 100% Commons-kompatibel.

  10. @ Alexander Dill, was Brigitte Kratzwald da formuliert würde ich fast schon als Grundkonsens eines Großteils der Commonsdebatte bezeichnen. Erheblichen Dissenz gibt es allerdings in der Frage, wie man sich nun zu diesem Staatsversagen verhält (das ja auch kein flächendeckendes Versagen ist). Die einen würden sagen, man muss öffentliche Dienstleistungen (also die mit dem versorgungstechnischen Hang) quasi als common pool resource ansehen und dann den Umgang damit demokratisieren. Quasi die Lehren aus der Commonsforschung stärker in die Verwaltung tragen. Die anderen sagen: „Das könnt Ihr vergessen“. Aber vergesst nicht, dass der Staat ein Herrschaftsinstrument ist, der die „enclosure of the commons“ sehr häufig flankiert und vorangetrieben hat. Wir müssen uns konsequente „jenseits von Markt und Staat“ die kollektiven Freiräume zurück erobern. Ich denke, das kommt drauf an – von welcher Ressource, welchem Fall, welcher administrativen Ebene, welchem Organisationsgrad der Bürger_innen usw. wir reden. Es gibt Bereiche, da wird es ohne institutionelle Strukturen nicht gehen.

    • Jens Berger schreibt am 08.03.2010 „Ein ‚gemeinwohlorientierter‘ Arbeitsmarkt muss sich zwingend auf Tätigkeitsfelder konzentrieren, die vom ersten Arbeitsmarkt aus Kostengründen nicht wahrgenommen werden können.“
      Quelle: http://www.spiegelfechter.com/wordpress/2089/hannelore-kraft-reitet-auf-der-westerwelle
      Damit blieben soziale Commons sozusagen nur noch als Nothelfer für alles, was die maroden Sozialstaaten sich nicht mehr leisten können oder wollen.
      Aber die Idee von Frau Kraft ist eigentlich sinnvoll, weil es für viele ja gar keinen 1. Arbeitsmarkt mehr gibt und der Staat sich zunehmend nur noch auf die Finanzierung von Geschenken an seine Klientel, 80 Mrd. Euro für die Beitragsbefreiung von Beamten und Selbständigen in der RV, 100 Mrd. pro Jahr Verzicht auf Vermögensbesteuerung und Heranziehung zur Tilgung der Staatsschuld, fokussiert.
      Silke, was sagts Du denn zum steuerfinanzierten Grundeinkommen?

  11. @Alexander, zum BGE habe ich ja mal ein paar Thesen gemacht, bin dann aber nicht so recht voran gekommen.
    Aber hier nochmal der Link. https://commonsblog.wordpress.com/2009/12/02/gemeinguter-und-bedingungsloses-grundeinkommen-5-thesen/
    Soziale Commons als „Nothelfer für“ scheint mir ein Missverständnis. Commons heißt immer, Kontrolle über das eigene Leben wiederzukriegen. Dann braucht man „das Andere“ (z.B. den ersten Arbeitsmarkt“) weniger.
    Es geht genau darum, so viele Bereiche wie möglich aus diesem Verwertungsdruck rauszukriegen. Und auch so viele Menschen wie möglich. Das würde am Ende auch den Sozialstaat entlasten. BGE ist eine Brücke dahin.

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