Commoning: Das Leben in die eigene Hand nehmen

lawprof4louis-wolcherDie Tragik der Commons besteht für mich in der Tatsache, dass wir uns die Commons nicht mehr vorstellen können.“

Louis E. Wolcher hat am 13. März mit einer sehr interessanten Reflektion zu den Commons (Gemeingütern) die Konferenz der National Lawyers Guild zum Thema The Law of the Commons eröffnet. Wolcher ist Sprach- und Rechtsphilosoph. Sein Thema: „Die Bedeutungen der Commons“.

Er arbeitet sehr klar den Unterschied zwischen der Idee der Commons als „Gemeinbesitz von etwas“ und der Idee des Commoning als besonderer Form sozialer Interaktion heraus und erklärt, warum dieser Unterschied politisch bedeutsam ist. Hier im Blog gibt es eine leicht gekürzte deutsche Übertragung (alle Hervorhebungen von mir) und hier das Video (engl.).

Los geht’s:

„Ich bin kein Experte zu den verschiedenen materiellen und sozialen Aspekten der Commons, die hier diskutiert werden. Andere kennen sich besser aus z.B. in Umweltrecht, Urheberrecht o.ä.

Doch ich werden versuchen kritisch zu denken. Kritisch denken ist die Essenz der menschlichen Freiheit. Dieses kritische Denken ist Ergebnis meiner ständigen Auseinandersetzung mit der Welt, so wie sie uns gegeben ist. Die Welt die uns gegeben ist, setzt unserer Vorstellungskraft permanent Grenzen.

Das, was wir normalerweise mit auf den Weg kriegen, macht uns alle zu braven Schafen im Alltag, und es macht uns verletzbar, von der Macht vereinnahmt zu werden und uns zum Komplizen unserer eigenen De-Humanisierung zu machen. Vor allem heute, wo die Welt so eine Bandbreite von Problemen gleichzeitig erlebt: Globaler Hunger, Finanzkrise, Ressourcenkrise.

Doch wir müssen uns aus dem Griff des Unmittelbaren lösen, weil es unsere Vorstellungskraft einschränkt und uns nicht erlaubt, neue Möglichkeiten zu denken und mit dieser Situation umzugehen.

Ich möchte daher ein paar Gedanken beitragen zu diesem Ding, diesem Konzept, dieser sozialen Praxis – genannt die Commons. Und fragen: Gibt es einen immer wiederkehrenden Punkt, an dem alle Themen, die hier behandelt werden, zusammenlaufen?

Zunächst eine historische Beobachtung: Peter Linebaugh wird das sicher besser beschreiben können; die Idee der Commons ist in der angelsächsischen Rechtstradition verwurzelt und in einem besonderen historischen Gedächtnis bewahrt, dass auf den Feudalismus zurück geht. Sie nahm in zwei für die angelsächsische Rechtstradition zentralen Dokumenten institutionelle Form an. Der Magna Charta (1215) und der Great Charta of the Forest (1225).

Beide sind sogenannte Chartas of Liberty, an die sich heute jeder erinnert, aber nur in einem bestimmten Aspekt. Nämlich, an jenen – den die meisten Juristen gut kennen – dass der König seine Macht einschränkt und den Untertanen gewisse Rechte gewährt, vgl. der berühmte Artikel 49 der Magna Charta. (origin of due process of law/ based on the idea of habeas corpus)

Was wir aber vergessen haben bzw. woran wir uns kaum erinnern ist Folgendes: dass der König keine Rechte gewährt, sondern bestimmte übliche Praktiken und Gewohnheiten bestätigt, solche von denen Menschen seit Jahrhunderten Gebrauch machen. Also beispielsweise die Recht der commoners, den Wald, die Flüsse und anderes für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu nutzen.

Beide Chartas haben enorme Relevanz für diese in Vergessenheit geratene Tradition. Die Geschichte, wie diese Tradition (dass Rechte respektiert und nicht gewährt werden) in Vergessenheit geriet, ist eben jene Geschichte, die erzählt werden muss.
Es ist also sehr wichtig, den Unterschied zu machen zwischen einerseits dem König, der Rechte gewährt und andererseits dem König, der Rechte, die die Menschen schon immer hatten bzw die sie sich nehmen respektiert.

Im 21. Jhd sind wir derart vom Rechtspositivismus beeinflusst, dass es schwer geworden ist, an Rechte zu denken, die uns nicht von den Mächtigen gewährt wurden. Aber die Gewohnheitsrechte, die in beiden Chartas bestätigt wurden, wurden von niemandem gewährt, sondern sie wurden schlicht von den Leuten beansprucht. So war der König gezwungen, zu schützen, was sich die Menschen bereits genommen hatten.

Die Idee der Commons ist besser ausgedrückt mit dem „commoning“, also nicht mit einem Subjekt, sondern mit einem Verb (vgl. Linebaugh). Damit drückt man kein spezifisches Besitzverhältnis aus, sondern vielmehr eine Lebensform, in der Autonomie und die Fähigkeit die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen in direkter Reichweite der Commoners liegen, und nichts sind, was ihnen (uns) von oben gewährt werden muss.

Man denke nur an die weit verbreitete Vorstellung, dass wellfare vom Staat gegeben ist, kontrolliert wird und vom Staat auch wieder genommen werden kann. Die Commons in diesem originären Sinn – das ist für die Rechtstheorie relevant – waren also nicht im eigentlichen Sinne gemeinsamer Besitz.Sie waren nicht ein Stück Land oder Wald, das den Dörflern gehörte. Der Begriff des Eigentums, des Privateigentums muss vielmehr in Opposition zu den Commons im ursprünglichen Sinne gesetzt werden. Sondern „to common“ als Verb bedeutete, sich in einer Lebensform zu engagieren in der Du Dein Leben, Deine Subsistenz in die eigenen Hände genommen hast und Dich nicht an den Tisch gesetzt und gewartet hast, ob ein paar Krümel von den Mächtigen übrig bleiben. Eben das haben die beiden Chartas bestätigt, wenngleich diese Dimension nahezu in Vergessenheit geriet. Der Punkt ist extrem wichtig.

Die Leute wurden also durch die Chartas in dieser Lebensform bestätigt, ihr gemeinsames kulturelles Gedächtnis hat sie ermächtigt, den Widerstand gegenüber Anstrengungen zu organisieren, die diese Lebensform und das, was sie geschaffen haben auslöschen wollten.

Als sich der Landadel dem verschrieb, was wir heute „enclosures“ nennen – also das Schaffen privater Eigentumsrechte – eine Macht, die ihnen vom König verliehen wurde, war Widerstand möglich, eben genau weil Menschen sich in ihrer Lebenszeit oder in der ihrer Eltern und Großeltern einer anderen Lebensform erinnern konnten. Der Widerstand basierte auf der Erinnerung einer früheren Lebensform, der Form des commoning als Möglichkeit, das Leben in die eigenen Hand zu nehmen und es nicht dem König zu überlassen.
Dieser Unterschied zwischen den commons und dem commoning – hat mit dem Kern des Commonsbegriffs zu tun. Das Wichtigste für uns heute ist die politische Bedeutung dieses Unterschieds.

Wenn wir unter Commons die „commonly owned resources“ (den Gemeinbesitz an Ressourcen) verstehen, dann stellen wir uns vor, dass wir Regierungen, die Mächtigen, die Technokraten um eine Lösung anflehen, während wir zu Hause sitzen und die Flut steigt. Wenn wir aber commoning in diesem ursprünglichen Sinn denken, einer nicht gewährten, nicht vorgeschriebenen Lebensform, dann beginnen sich neue Möglichkeiten zu eröffnen, die Zukunft gemeinsam zu bauen. Dann stehen wir alle auf gleicher Ebene.
Aber da gibt es ein großes Problem mit dem Unterschied zwischen Commons (als eine spezifische Eigentumsform) und dem Commoning als Lebensform. Im 13. Jhd in Europa war das Commoning den Menschen in die Wiege gelegt. Es war eines der zentralen Elemente der Sozialordnung, die Menschen haben es als normal, als Teil ihres Lebens betrachtet. Als das Commoning bedroht wurde, hatten sie etwas, woran sie sich erinnern konnten.

Wir sind heute in einer ganz anderen Position. Die enclosures, die Merkantilisierung und Globalisierung haben die Vorstellung der Commons (des Commoning) ausgelöscht und zwar zu einem solchen Grad, dass wir den Kontakt zu diesem kulturellen Gedächtnis verloren haben und uns daher auf nichts beziehen können. Die meisten Leuten können sich als einzig denkbare Lösung für Marktversagen nur Markt, mehr Markt, einen anderen Markt vorstellen.

Anders als die Menschen des Mittelalters: Wir haben keine kulturelles Gedächtnis dieser anderen Lebensform mehr, zumindest nicht der Durchschnittsbürger in den USA. Und das ist ein Problem.

Was hat der Markt gebracht? Was hat die Deregulierung, die Dominanz des Privateigentums gebracht. Diese Frage zwingt dazu, uns mit der öffentlichen Bedeutung des Begriffs Privateigentum auseinander zu setzen. Privateigentum ist ja kein privates Konzept, sondern ein öffentliches Konzept. Wir sind diejenigen, die das tun. Wir machen Gesetze, wir halten sie aufrecht oder verändern sie.
… Der deutsche Philosoph Martin Heidegger bezog sich auf die Welt, die wir im 21. Jhd erben, als eine Welt als „standing reserve“ bezogen. Also eine Welt, die in unserer Vorstellungskraft besteht als Sammlung von Objekten und Dingen, inbegriffen der Menschen, die als Ressourcen verstanden werden. Als Sammlung, die in ein Warenhaus gestellt werden muss und technokratisch verwaltet wird von Leuten, die es besser wissen. Es ist eine Welt, in der selbst das Leiden auf diese Weise gemanagt wird.

Das ist auch ein Weg, über den jene, die die Macht haben und sie gern erhalten würden unsere Vorstellungskraft strangulieren können. (Artikel von Alexander Cockburn/ NATION; Bezug auf 1931 Beginn der großen Depression. Unter einer Gruppe von Vordenkern wurde eine Umfrage gestartet. Die Frage: Was ist das größte Problem? Antwort: Amerika. Wie könne man dem Problem begegnen. Die Antwort, die sie gaben – absolut nicht überraschend – sie war: Verbot. Doch dieses Verbot musste vermieden werden. Wenn man es funktional betrachtet, dann ist der Grund dafür offensichtlich. Wenn Menschen erlaubt wird, in Bars zu gehen und ihre Sorgen zu ertränken, dann werden sie wahrscheinlich weniger an Barrikaden und die Forderung nach substantieller Veränderung denken.

Jeder aus diesem Publikum, der an sich selbst als ‚Humanressource‘ denkt, oder an Bildung als ‚Investition in das Humankapital‘ ist meilenweit von der Idee des Commoning entfernt. Wir leben in großen Turbulenzen aber auch in Zeiten großer Möglichkeiten. Meine Hoffnung ist, dass wir eine gemeinsame Vorstellung von dieser neuen Form des Commoning entwickeln, eine neue Form von Politik von unten. Die Zeichen, dass das möglich ist, sind überall.“

Dann folgt eine Kritik an Garrett Hardin „The Tragedy Commons“ 22′ – 24′ , der das zentrale Argument jener, die die Commons und die Idee des Commoning als bestimmte Form der Sozialordnung ablehnen.

Die Tragik der Commons besteht für mich in der Tatsache, dass wir uns die Commons nicht mehr vorstellen können. Die wichtigste Bedeutung der Commons ist für mich nicht eine Weide, nicht ein Ozean, sondern das Wiederbeleben der gemeinsamen Vorstellungskraft der Menschen, die solidarisch miteinander sind aber einer Welt gegenüberstehen, die vor unseren Augen zerfällt. …

Foto: Louis Wolcher, http://depts.washington.edu/uweek/archives/2000.01.JAN_06/_Photos.html