Öffentlich finanziert – privat kassiert

Pamphlete haben den Vorteil, die öffentliche Debatte zu befeuern. Am Ende müssen wir für die Irrungen und Wirrungen von Roland Reuß und Rudolf Walther in der Diskussion um Open Access noch dankbar sein, denn sie haben uns einen Sturm der Entrüstung und diese wunderbare Entgegnung von Mathias Spielkamp eingebracht. Spielkamp hat die Frage „Wer enteignet hier wen?“ erwartungsgemäß anders beantwortet.

„Google wird …in lieferbare Bücher so viel Einblick gewähren, wie es die Rechteinhaber – also Autor oder Verlag – erlauben, und vergriffene Bücher verwerten, indem Nutzer die Bücher ansehen, ausdrucken oder auch als Print-on-demand-Version kaufen können – so lange nicht die Rechteinhaber Einspruch erheben. Von den Einnahmen bekommen die Rechteinhaber in der Regel 63 Prozent, Google 37.

…Aber 63 Prozent sind keine Enteignung. Wer heute einen Vertrag mit einem Verlag unterschreibt und nicht Daniel Kehlmann heißt, bekommt mit ein bisschen Glück einen Anteil von zehn Prozent des Ladenverkaufspreises. Wer Pech hat und zum Beispiel seine Dissertation veröffentlichen muss, zahlt an den Verleger einen Druckkostenzuschuss von mehreren Tausend Euro. …. Über die Auswirkungen des Google Settlement in der Praxis zerbrechen sich zur zeit Verleger, Akademiker und Autoren weltweit auf Symposien und Konferenzen die Köpfe. Vielleicht sollten sie alle Roland Reuß fragen, der es offensichtlich genau weiß: die Enteignung der Urheber.

Die ja laut Reuß auch, und hier wird es dann so haarsträubend wie gefährlich, durch Open Access droht. Dabei muss man wissen, dass die Open-Access-Bewegung in den Wissenschaften aus einer Not heraus entstanden war – und einer paradoxen Situation, die nicht im Sinne irgendwelcher Urheber war und ist. Wissenschaftler, vor allem in den so genannten STM-Disziplinen – Science, Technology, Medicine – erwerben wissenschaftliches Renommee in erster Linie durch Publikationen in Science Journals, Wissenschaftszeitschriften. Diese Zeitschriften erscheinen in zum Teil weltweit operierenden, oft börsennotierten Verlagen, wie dem Springer Wissenschaftsverlag in Heidelberg (der mit der Axel Springer AG nichts zu tun hat) oder Reed Elsevier, einem britisch-niederländischen Konzern.

Um in Zeitschriften solcher Verlage zu veröffentlichen, müssen Wissenschaftler in vielen Fällen den Verlagen die exklusiven Nutzungsrechte an ihren Artikeln abtreten. Das bedeutet, dass sie ihre eigenen Beiträge anschließend nicht mehr an anderer Stelle veröffentlichen dürfen, weder auf der eigenen Website noch der ihrer Universität. Ein Honorar erhalten sie dafür nicht; im Gegenteil, die Peer Review, also die Begutachtung der Forschungsergebnisse, übernehmen Wissenschaftler ebenfalls ehrenamtlich, also in den meisten Fällen auf Kosten ihrer Arbeitgeber. Also auf Kosten der Steuerzahler, wenn sie an öffentlich geförderten Institutionen arbeiten, wie etwa Universitäten. Der Steuerzahler zahlt, der Konzern schreibt Gewinne: Wer enteignet hier wen?

Diese Situation wird dann vollständig absurd, wenn es sich die Universitäten, an denen die Wissenschaftler arbeiten, nicht mehr erlauben können, diese Zeitschriften zu abonnieren. Doch genau das ist seit den 1990er Jahren immer öfter der Fall. Seitdem sind die Preise für viele wissenschaftliche Fachzeitschriften um bis zu 30 Prozent pro Jahr gestiegen. Die meisten Beobachter sehen die Gründe darin, dass nur noch wenige große Verlage den Markt unter sich aufteilen und damit die Preise diktieren können. Wissenschaftler können aber nicht einfach auf Konkurrenzprodukte, also etwa billigere Magazine umsteigen, weil ihr Renommee bislang noch von der Publikation und den Peer Reviews in diesen Zeitschriften abhängt und weil sie die Informationen dieser Zeitschriften brauchen. Gleichzeitig stagnieren die Etats der Universitäten und Bibliotheken in vielen Ländern oder haben sich sogar verringert.

Wissenschaftler gehen daher immer mehr dazu über, ihre Artikel über das Internet offen zugänglich zu machen – „open access“ eben. Sie profitieren davon doppelt – zum einen, weil die eigenen Erkenntnisse für mehr Kollegen zugänglich sind, zum anderen, weil sie selber auf mehr Veröffentlichungen anderer zugreifen können. Dass diese Praxis mit dem Geschäftsmodell vieler Verlage kollidiert, verwundert nicht – denn dieses Geschäftsmodell beruht darauf, sich exklusive Lizenzen unbezahlt von Wissenschaftlern, die aus öffentlichen Mitteln entlohnt werden, übertragen zu lassen, um sie anschließend an öffentlich finanzierte Bibliotheken zu verkaufen. Zu bisweilen astronomischen Preisen.“

Hier bei Netzpolitik.

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