Saatgut ist Software

San Cristóbal de las Casas, 13. Juli 2009: Ich steige in den Pick-up ein, der mich zum Schnellbus nach Tuxtla Guttiérez bringt. „Wie so ein Tag vergeht“, sage ich. Mein Aufenthalt in San Cristóbal währte gerade einmal 20 Stunden. Meine Gastgeberin, die Chiapanekin Ana Valadez,  wallendes, tiefschwarzes Haar und kämpferische Ausstrahlung, antwortet:

„Tja, an nur einem einzigen Tag, kann man eine ganze Diskussion auf den Kopf stellen.“Wir hatten Buchvorstellung in San Cristobal, organisiert von otrosmundos, auf Grund meines Blitzaufenthaltes zum denkbar ungünstigsten Moment: Montag früh um 11 Uhr. Doch das Thema zieht, „es geht uns was an. Das bewegt die Leute hier“, sagt später ein Teilnehmer. Es geht um Gemeingüter.

Die einladenden Organisationen hatten sich intensiv vorbereitet und die Lektüre der 39 Artikel unter sich aufgeteilt. Spannend zu sehen, wie ein Buch sprichwörtlich verarbeitet wird. Dabei verlangt es den linken Organisationen im rebellischen Chiapas ab, ihre politischen Ansätze nochmal kritisch zu reflektieren, Polarisierungen aufzugeben oder über das „No a la privatización“ hinaus zu denken.

In Chiapas ist viel selbstverständlicher als bei uns die Rede von „Gemeinschaften“ (comunidades). Hier ist das Leben noch vielfach in Gemeinschaften organisiert – von Markt und Staat verlassen. Doch auch hier tun sich Gräben auf zwischen Idealisierung und Verteufelung dieser „comunidades“. Es scheint ein Glaubenskrieg – wie überall. Auf diesen haben sich aber die Organisatinen vorerst noch nicht eingelassen. Sie nutzen den Diskurs der Gemeingüter zur kritischen Selbstreflektion.

Seit einigen Jahren verbindet der Begriff die Ökos mit den „comunidades“ für Freie Kultur und Freie Software. Im Spanischen heißt das: „convergencia de movimientos“, Zusammengehen sozialer Bewegungen. Meine Gastgeber verstehen das Buch als Vorschlag, diese Bündnisse auf eine programmatische Basis zu stellen.

Ana Valadez macht es ganz praktisch. Sie legt eine Reihe von Samentütchen auf den Tisch. Ein Muster der bizarrsten Maissamen, die man sich denken kann. Daneben stellt sie einen Topf mit Kräutern, denen allerlei heilende Wirkung zugesprochen wird. Dann hält sie noch einen USB Stick hoch und sagt:

„Das alles ist Software. Es ist die Software der Reproduktion des Lebens.“ Das alles ist Code, ist Information. Und diese Information ist mit der Hardware dieser Reproduktion (dem Computer oder der Pflanze) so untrennbar verbunden wie mit dem Leben.

Wir sind es, die entscheiden, was wir säen und ernten. Wir sind es, die Informationen entwickeln, entschlüsseln und nutzbar machen. Das Nachdenken über Gemeingüter ist ein Nachdenken darüber, wie die Software der Reproduktion des natürlichen und kulturellen Lebens fortgeschrieben werden soll.

Foto: San Cristóbal de las Casas, Kathedrale: by Jesus Guzman-Moya

3 Gedanken zu „Saatgut ist Software

  1. Die Analogie kann noch weiter getrieben werden. Saatgut gehört unter eine Lizenz, die der GPL vergleichbar ist. D.h. jeder darf Saatgut verwenden, weiter geben, vermehren (Kopien herstellen) und weiter entwickeln (Züchtung). Wenn das Saatgut weiter entwickelt wurde, gelten bei Weitergabe dr Neuzüchtung wieder die gleichen Regeln.

  2. Pingback: Saatgut ist die Software des Lebens « CommonsBlog

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