Bayrische Piraten beschließen Vorfahrt für Commons

Commons Piraten Bayern2„Die Piraten setzen sich dafür ein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Menschen zu bewegen, Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung zu teilen und Institutionen nachhaltig und erfolgreich so zu organisieren, dass sie Commons-Prinzpien entsprechen.“ (Herv. S.H.)

So beginnt der Antrag zum Positionspapier Nr. 079, der am vorgestrigen Sonntag auf dem Landesparteitag der Bayrischen Piraten mit großer Mehrheit angenommen wurde. Die Antragsbegründung von Marcus Dinglreiter (et al.)  kann man anhören (ab 5:50) und genauer nachlesen.

Dinglreiter spricht von einem „anderen Betriebssystem“ für das Wirtschaften, in das bekanntlich noch viel Hirnschmalz zu investieren sein wird. Denn jenseits des anderen Wirtschaftens geht es um eine tiefgreifende kulturelle Transformation.  Dieser „relativ vorsichtig formulierte Antrag“ wolle, so Dinglreiter, „überhaupt das Thema der Commons, das mehr auf Bedürfnisbefriedigung als auf Gewinnmaximierung setzt, in die Gesellschaft hineintragen“. Also keine Zwangsforderungen stellen sondern… gemeinsames Lernen und Debattieren über Commons anregen.

Erfrischend erschien mir die Debatte zum Positionspapier: Fünf Personen am Pro- und Fünf Personen am Contramikrofon.

Ein Redner warnt davor, Commons nicht zu verabsolutieren (was dem vorsichtigen Papier ohnehin schwerlich zu entnehmen ist). Ein weiterer mahnt, dass die Forderungen des Papiers – etwa die Nutzung Freier Software – auch konsequent in der eigenen Partei eingelöst werden müssen. Das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun! Und ein Dritter versteht das im Antrag favorisierte Konsensprinzip miss als dürfe es dort „keine einzige Nein-Stimme und keine Enthaltung geben.“  Hier hilft ein Blick in die Wikipedia.

„Entscheidungen im Konsens verlangen oft keine ausdrückliche Zustimmung, vertragen sich aber auch nicht mit offener Ablehnung. Alle Gruppenmitglieder müssen einverstanden sein, oder bereit sein, ihre abweichende Meinung, bzw. ihre Bedenken gegen die zu treffende Entscheidung aufzugeben oder zurückzustellen. Sie tragen dann die Entscheidung trotz ihrer Bedenken mit.“

Auch die obligatorische Frage nach dem Begriff ‚Commons‘, der nur einer kleinen Minderheit vertraut sei, fehlt nicht. Wobei bemerkenswert ist, dass das ausgerechnet die Piraten beunruhigt, die permanent mit Begriffen hantieren, die nur einer Minderheit vertraut sind. ‚Twittern‘ ist noch lange nicht „normal“, ‚rss-feed‘ den meisten ein Fremdwort und vom ‚hashtag‘ ganz zu schweigen.

Auf die Frage nach einen deutschen Äquivalent antworte ich gern: ‚Allmende‘ ist ein historischer Eigentumsbegriff, der an glücklich grasende Kühe auf Schweizer Almweiden erinnert und die Vielfalt der Commons in unserer Zeit nicht adäquat zu fassen vermag. Und ‚Gemeingüter‘ ist nicht minder missverständlich. Es führt (insbesondere die Ökonomen) auf die falsche Spur der klassischen Güterklassifizierung; so als ginge es um Güter, die getrennt von uns sind. Dabei geht es um uns und um die Art, unsere Sozialbeziehungen (also auch die Eigentumsverhältnisse) zu gestalten.

Ein Redner (da redeten tatsächlich nur Männer!) bringt es schließlich auf den Punkt:

„diese Geschichte mit den Commons und was darin steckt, Gemeinwohl vor Eigennutz, ist einerseits neu und international. Sie ist aber auch alt. Es geht darum, dass wir gegenüber dem Scheitern des Staatssozialismus und des gierigen Kapitalismus ein Modell präsentieren, dass vorwärts treibt, das neu und utopisch ist, dass die Richtung zeigt für etwas, das eine zukünftige menschliche Gesellschaft ausmacht. Und das ist genau hier drin. Hier haben wir etwas, was uns gegenüber den ganzen anderen etablierten Parteien hervorhebt und uns in der politischen Atmosphäre in unserem Land ein Alleinstellungsmerkmal gibt.“ (Herv. S.H.)

Bemerkenswert schien mir noch, dass sich viele beim Stichwort Commons immer gleich eine konkrete Form vorstellen wollen. So als garantiere die Form den Inhalt. Woraus in der beispielhaften Rede flugs „Genossenschaft“ = „Commons“ wird,  was freilich zu kurz greift. Denn auch eine Genossenschaft kann Gewinn- statt Commonsprinzipien folgen und an Letzterem gilt es zu arbeiten, worauf der erste Satz des Antrags treffend hinweist.

Im Schlusswort wagt Marcus Dinglreiter die These, dass es „vielleicht 20% der Bevölkerung gibt, die diesen Ansatz unterstützen. Diese Leute wollen wir unterstützen.“ Schön!

Im Piratenbuch von Christoph Bieber und Claus Leggewie schrieben wir:

„Was Piratenpolitik aus Commonssicht interessant macht, ist also nicht nur das Wie, sondern auch das Wohin. Zahlreiche piratige Positionen lassen sich so resümieren: Auch wenn nicht Commons draufsteht, sind Commons drin.

Wir waren gespannt darauf; ob die Piraten nicht nur „die Herstellung und Finanzierung von Musik, Software und anderen Werken in Richtung Commoning“ rücken oder Infrastrukturen und Kommunikationsplattformen als Commons verstehen, die Teilhabe ermöglichen, sondern ob sie die Commons-Perspektive auch in anderen Politik-, Rechts- und Lebensbereichen einnehmen werden.  Die Chancen darauf stünden nicht schlecht, befanden wir, denn „‚Ganz neue und vorher undenkbare Lösungsansätze‘, wie sie das Grundsatzprogramm der Piraten verspricht, sind auch von der Wahl des Betriebssystems determiniert!“

Die Piraten haben hier ein Thema eingebracht, dass uns vielleicht auch beim nächsten Bundesparteitag begegnen wird. Und wenn die Piraten den Schatz der Commons heben (was mühsam ist wie jede Schatzhebung), könnte sich dieser Begriff gar zum Kernbegriff eines europäischen Piratenprogramms für die Wahlen 2014 entwickeln.

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Weitere Links zum Thema:

Steffen Greschner Sind die Piraten auf dem Weg zur „Commonspartei“?
Handelsblatts: Wie Piraten und Gemeingüter symbiotisch die Menschheit retten.
Ein Beitrag von Michel Bauwens (P2P Foundation) auf Al Jazeera
Und ein Zitat aus einem Interview des FREITAG mit dem Politik- und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie:

ZITAT:
Leggewie: Die Piraten könnten eine commonistische Partei werden und sich als solche offensiv präsentieren.

Was heißt das?

Leggewie: Mit Commons werden Gemeingüter bezeichnet, die allen offen stehen und zu denen jeder beitragen kann. Das klassische Beispiel dafür ist eine gemeinsam genutzte Weide, auf der jeder im Dorf sein Vieh grasen lässt. Im Netz funktioniert etwa die Wikipedia nach dem Commons-Prinzip. Weiter gefasst sind auch Bildung, Mobilität oder demokratische Teilhabe als Gemeingut aufzufassen. Die Grundidee von Commons-Politik gegen den Privatisierungswahn der letzten Jahrzehnte ist, dass gemeinschaftliches Eigentum und Handeln in vielen Bereichen einen höheren gesellschaftlichen Nutzen ermöglicht als Privateigentum und individuelles Handeln.

Stimmt das denn?

Leggewie: Dafür muss man den Umgang mit einem Kollektivgut regeln, das ist Aufgabe der Politik. Die Chance für die Piraten besteht nun darin, diese Ideen auf andere Politikfelder zu übertragen. Dann brauchen sie gar nicht zu jedem Thema eine Meinung abzugeben.

Sondern?

Leggewie: Die Piraten sollten eine Generalidee präsentieren, die auf viele Bereiche passt.

2 Gedanken zu „Bayrische Piraten beschließen Vorfahrt für Commons

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