Commons bei Gert Scobel

IMG_7830Vorab: Ich fand die Sendung gar nicht schlecht. Sie war gut vorbereitet, aufwändig recherchiert und der Moderator wirkte hervorragend informiert. Die Erwartung, eine derart vielschichtige Thematik kurz in einer Plauderstunde wirklich erfüllend abhandeln zu können, wäre reichlich unrealistisch gewesen. Ein bisschen frustriert mich zwar die Erkenntnis, wie hartnäckig sich Stereotypen und liebgewonnene Mißverständnisse in unserer Gedankenwelt festkrallen. Langfristig wird ihnen (den Mißverständnissen) das aber nichts nützen, denn der Mensch ist nicht dumm und lernt – wie man sieht.

Ein paar Notizen, die ich mir am Rande gemacht habe:

Commons (Allmende) oder Gemeingüter sind keine Ressourcen. Commons sind ein kooperatives Verhalten des Menschen im Umgang mit Ressourcen. Auch Privateigentum ist ja keine Sache an sich und auch keine physikalische Eigenschaft der Materie, sondern eine Art des Umgangs mit Dingen und zwischen Menschen. Commoners versuchen einen von den Nutzern als gerecht empfundenen Zugang zu Ressourcen zu regeln und deren langfristiger Erhalt sicherzustellen. Commons sind also kein Ding, sondern ein Verhalten.

Commons (Allmende) oder Gemeingüter sind auch keine Utopie. Sie sind gelebte Realität rund um den Globus in verschiedensten Sphären des menschlichen Lebens. Elinor Ostrom hat analysiert, welche Regeln des Commonings (oder der Allmendewirtschaft) bei erfolgreichen Commons vorhanden sind, bei gescheiterten Commons aber gefehlt haben. Die moderne Commonsbewegung setzt sich dafür ein, die Sphäre der Commons (der Allmende) zu schützen und zu fördern, um die Lebensqualität des Menschen unter anderem von wirtschaftlichem Wachstum zu entkoppeln.

Der Markt wird nicht von der Vision einer Commonsgesellschaft bedroht, sondern von seiner eigenen Unfähigkeit, die elementaren Bedürfnisse der überwiegenden Zahl der Menschen auf dieser Welt nachhaltig zu befriedigen.

An zwei Stellen trat die bewusste oder unbewusste Propaganda der Marktbewahrer voll aufs Gas.

1.) Bei Gert Scobels Einwand, außer dem Internet würde einem wenig einfallen, das mehr wird wenn man es teilt, fällt einem baff die Kinnlade herunter und man erlahmt in seinen Argumenten. Dabei wäre es ganz einfach: Sex, Zuneigung, Geborgenheit, ein gutes Essen, ein Erlebnis, ein Abend, ein Film im Kino, eine Geschichte, Wissen, eine Diskussion, ein Konzert … mir fällt im Grunde fast nichts ein, das nicht mehr wird, wenn wir es teilen. Im Übrigen gilt dies auch für Ressourcen, die von Rivalität betroffen sind. Denn das Brot zu teilen ist nicht nur ein christlicher Grundwert. Es ist überhaupt ein Grundbedürfnis des menschlichen Gemüts. Wer nicht teilen kann, obwohl er zuviel hat, ist für mich einfach eine arme Sau.

2.) Als Timo Goeschl nach einem Forschungslab fragt, in dem Freiwillige in ihrer Freizeit Moleküle zusammenbasteln und am Wochenende klinische Versuche durchführen. Er hat mich an dieser Stelle wirklich enttäuscht, denn entweder tritt hier eine völlige Unkenntnis der Commonsidee zutage (was ich mir schlecht vorstellen kann) oder ein unredlicher argumentatorischer Schachzug (was ich auch nicht unterstellen will). Es ist ja absurd zu behaupten, die Milliardengewinne der Pharmaindustrie würden benötigt, um die Gehälter der Doktoranden und Laboranten in den Labors zu finanzieren und das weiß Herr Goeschl auch. Die Behauptung, in Commons-basierter Produktion müssten Wissenschaftler, Musiker, Schriftsteller etc ohne Einkommen arbeiten ist für mich kein Argument, sondern Agitation.

Nicht die Vision der Commons ist naiv, sondern die Idee, dass der Markt den Bedürfnissen des Menschen Folge leisten würde. Die kapitalistische Marktwirtschaft dient nicht dem Menschen, sondern sie mißbraucht ihn. Es gibt eine Katastrophe der Märkte und nicht eine Tragik der Allmende.

Und noch ein Punkt zu diesem Garrett Hardin. Seine „These“ von der Tragik der Allmende war aus meiner Sicht kein Irrtum und kein Versehen, sondern Teil einer politischen Agenda. Sein hochzitierter Artikel im Wissenschaftsmagazin Science aus dem Jahre 1968 schmiegt sich wie eine Sardine in der Öldose ein in Ereignisse und Ideologie der späten 60er-Jahre.

Mein Fazit dieser Sendung: Man kann nicht jedes Scharmützel um geliebte Positionen in einer solchen Sendung gewinnen, aber das ist auch gar nicht erforderlich. Dafür gewinnt man umso mehr Menschen, die sich für diese Thematik interessieren. Commons entstehen nämlich nicht im Fernsehen, sondern vor Ort im täglichen Leben. Aber es ist schön, dass das Fernsehen endlich über Commons berichtet. Es wird ja wirklich langsam Zeit. Ein bisschen verständlicher könnte es dabei noch werden … .

Eine Buchbesprechung gab es übrigens auch noch.

3 Gedanken zu „Commons bei Gert Scobel

  1. sehr guter kommentar von dir. so wie der goeschl geredet hat, so vorgefertigt, so abgeschlossen, so war er auch enttäuscht, schön, dass er ostrom und commons zur kenntnis genommen hat, aber er vertraut wohl lieber dem marktmechanismus. was ich in jedem fall problematisch finde, ist bei „sozialen praktiken und strukturen“ (sozial im soziologischen sinne also eher relational) wie commons oder „markt“ die akteure (und ihre bewusstseinsstrukturen oder ethiken, handlungsleitenden prinzipien) aussenvorzulassen. mit dem soziologen pierre bourdieu gesprochen: es braucht eine Aufhebung des Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus. commons sind keine objektiven, vom akteur losgelösten strukturen, ähnlich wie märkte sich durch das marktverhalten von akteuren konstituieren. natürlich sind die regeln bei commons oder märkten intersubjektiv, trotzdem sind sie nicht eine realität sui generis, sondern von menschen geschaffene wirklichleit.

  2. Sehr gute Anmerkung! Commons ersetzen keine Ethik und das tut auch kein Markt. Genau wie Elinor Ostrom sagte, habe auch ich nicht prinzipiell etwas gegen den Markt. Aber statt dass der Markt der Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen dient, hat der Mensch heute nur noch die Aufgabe die Bedürfnisse des Marktes zu befriedigen. Wir müssen essen weil der Markt Hunger hat, obwohl wir selbst längst übersättigt sind. Und genau darin liegt das Problem der (Menschen, die die) Märkte (betreiben). Sie kennen keine Ethik mehr, sondern nur noch Gefräßigkeit und Gier. Wir sind zu Wachstumssklaven geworden und bilden uns ein, es sei Wohlstand wenn wir uns zu Tode fressen.

    Ich sehe in der Commonsidee eine großartige Perspektive, weil sie den Blick von den Dingen zurück auf die Sozialbeziehungen zwischen den Menschen lenken. Die Commoner überlegen eben nicht, wie sie Musik möglichst billig oder kostenlos bekommen können. Dies ist ja gerade die typische Marktperspektive. Commoner überlegen, wie man Musikern ermöglichen kann Musik zu machen und wie man gleichzeitig möglichst vielen Menschen ermöglichen kann, diese Musik zu hören. Sie betrachten die Musik nicht als Ware, sondern als ein großartiges Gut, das es zu erhalten gilt.

  3. Pingback: 3sat-Doku “Wem gehört die Welt” — keimform.de

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