Commons: Herausforderung der Macht

Helmut Höge, Genossenschaftsexperte und taz-Blogger, hat unseren Contrasteschwerpunkt zur Peer Economy kritisiert.(vgl. Punkt 6)

Höge setzt Commons mit Gemeineigentum gleich. Vermutlich, weil er unter Commons nur die historische Allmende versteht. Auch Commons auf die Eigentumsfrage zu reduzieren -wie Höge das tut- ist verkürzt. Das wird auch dadurch nicht besser, dass er mit diesem Kurzschluss nicht der Einzige ist. Wenn Gemeineigentum die Lösung sein soll, warum haben dann so viele Gemeineigentumslösungen den Commons nichts genützt?

Was haben wir Kooperativen unterstützt! Beispielsweise in Nicaragua, Mitte der 90er Jahre. Aber Gemeineigentum allein ist eben noch kein Garant für einen wachsenden Commonssektor (der nicht dasselbe ist wie die historische Allmende). Zur historischen Allmende allerdings hat Höge immer Interessantes zu sagen. …Im zitierten Beitrag macht er einem Exkurs zu den Einhegungen der klassischen Allmende in Deutschland und verweist auf das…

„Bauernlegen“ mit den großen Sumpftrockenlegungsprojekten (Meliorationen) zwischen 1830 und 1880…. Laut Rita Gudermann schuf die gewaltsame Zerschlagung des Gemeindeeigentums einen Binnenmarkt, der die Bevölkerung in Konsumenten und Produzenten aufspaltete – auch auf dem Land, d.h. es entstanden dort wenige reiche Bauern und viele landlose Arme. 1906 kam der Agrarforscher Franz Christoph in einer Studie über die letzten ländlichen Allmenden in Preussen zu dem Resultat: „Äußerste Armut ist in Ländern mit Gemeingut weniger bekannt, auch der ärmste Tagelöhne hat wenigstens sein Land für Gemüse und Kartoffeln. Ein Proletariat ist in Gegenden mit größerem Allmendebesitz kaum anzutreffen.“ (Herv. von mir)

Die zitierte Studie von Franz Christoph (Jena, 1906) ist eine kleine Fundgrube.

Dort erfährt man viel Differenziertes zur damaligen Diskussion um die so genannten Gemeinheitsteilungen, also die Zerschlagung der traditionellen Gemeineigentumsstrukturen an Wald und Weide. Ein Thema, das einen Großteil der Bevölkerung bewegt haben muss, denn

  • 60% des Wald- und Weidelandes Deutschlands waren um die (vorletzte) Jahrhundertwende noch in Allmendbesitz

Zum Nutzen der Allmende: (Herv. von mir, weil ich darin zentrale Aspekte der aktuellen Commonsdebatte wiederfinde.)

  • „Babenhausen, Grossherzogtum Hessen, ist reich an Grundeigentum, besonders Wald. Im Jahr 1892 erhielt jeder Bürger frei 2m Scheitholz, 2m Knüppelholz, 2m Streckholz, 100 m Wellen Kiefern. Der Wert dieser Gabe betrug zusammen etwa 44m. Ausserdem erhielt jeder Bürger in bar etwa 30 Mark; die Gemeindesteuern sind niedrig.“ „Der aus dem Gemeindewalde empfangene Holzvorrat … macht den Bauern weniger abhängig von dem dauernden Steigen der Holzpreise. Für die schlimmste Not hat er einen Rückhalt, den ihm keiner rauben kann.“
  • Nach der Holzgerechtsame „empfing jede berechtigte Stelle ausser dem Raff- und Leseholz eine gewisse Menge Kluft-, Knüppel- und Wellholz“. „Durch das Sammeln von Beeren und Pilzen ist ärmeren Leuten und Kindern namentlich in der Nähe grösserer Städte Gelegenheit zu reichen Einnahmequellen gegeben….“ (S.10)
  • „Am segensreichsten gestalten sich die Wirkungen der A. in sozialer Hinsicht.“ Als da wären: „vertieftes gegenseitiges Interesse der Einwohner“ und „ein inniges, lebendiges Gemeinschaftsgefühl“, kurz: „Solidarität
  • relative Unabhäenigigkeit der Besitzlosen, Handwerker und Gewerbetreibenden
  • „In reich mit Allmenden ausgestatteten Gebieten treffen wir beinahe immer das Prinzip der gleichen Erbteilung an. Ohne die vorhandenen Gemeindegüter würde es vielen Erben kaum möglich sei, das so verkleinerte, mit Schulden belastete Besitztum anzutreten.“ (S.27)
  • „Nicht unwichtig … ist die Unmöglichkeit, die Allmende zu beleihen und zu verschulden. Gerichtliche Exekution ist nicht ausführbar.“
  • Die Allmende ist für Franz Christoph: „Grundlage einer wahren Heimstätte: Hort, Schutz, Zuflucht“
  • „Für die Armenpflege ist die Allmende sehr hoch zu bewerten. Durch sie wird auf anständige, vornehme Weise erreicht, was keine andere Unterstützung bewirken kann.“(S.30)
  • „…daher finden wir auch die Abwanderung der Arbeiter besonders stark in den Provinzen Ost- und Westpreussen, Pommern, Schlesien und Posen, wo der Grossgrundbesitz herrscht, keine Allmenden und keine leistungsfähigen Bauern vorhanden sind…. „Süddeutsche, vorwiegend kleinbäuerliche Betriebe mit reich versehenem Allmendland weisen dagegen nur eine geringe Abwanderungsziffer auf.“ (S.32)
  • „in den Staaten mit landwirtschaftlichen Grossbetrieben und Industrie bildet sich schnell ein Gegensatz von arm und reich aus. Diesem Gegensatz seine Schärfe zu nehmen, vor seinen Folgen zu bewahren, bedeutet der Allmendbesitz ein sicheres Mittel.“ (S. 32)
  • Mit zunehmender Erbteilung und Erhöhung der Anzahl der Nutzungberechtigten an der Allmenden und der gleichzeitigen Entstehung neuer politischer Gemeinden neben der Realgemeinde, erhöhten sich die Ansprüche auf Mitnutzungsrechte an den Allmenden. Die Gesetzgebung unterstützte die Interessen der politischen Gemeinde! Entweder „zog die politische Gemeinde alles Gemeingut als Gemeindevermögen oder als Gut zur Nutzung bestimmter Bürgerklassen an sich, oder die Markgenossenschaft erhielt sich neben der politischen Gemeinde als privatrechtliche Körperschaft.“

Die Logik der Zerstörung der Allmende hat sich bis heute erhalten:

„Bei dem Erlasse der Gesetze über Aufhebung und Teilung der Allmende oder Gemeinheiten stellte man sich hauptsächlich auf den einseitigen wirtschaftlichen Standpunkt. Die Steigerung der Produktion durch Zerschlagen des Gemeinbesitzes und Vergeben desselben an Privatpersonen war die Parole. Die soziale Bedeutung der Allmende für die Volkswohlfahrt wurde vollständig übersehen.“ (S. 25)

Die Probleme nachhaltiger Allmendbewirtschaftung waren damals ähnlich wie heute:

Unter anderem gab zur Sicherstellung der „sachgemässen Pflege“ bei Äckern oft langjährige Nutzungsvereinbarungen (14-18 Jahre) oder lebenslängliche Pacht (S. 19-21).

Und: „Es ist entschieden nicht gutzuheissen, wenn sich die Gemeinde aller Rechte bei der Übergabe des Ackers an diesem begibt und nur das Eigentum behält. Sie muss die Möglichkeit haben, müssige, faule Menschen zur notwendigsten Kultur und Düngung anhalten zu können, ferner muss sie den Trunkenbolden, notorischen Schuldenmachern und Nichtsnutzern die Ländereien entziehen dürfen, wenn diese solche nur dazu benutzen, um Schulden zu machen und das Gut durchzubringen. Derartige Bestimmungen enthalten auch die meisten Ortsstatuten der mit Allmenden gesegneten Gemeinden in Süddeutschland. Weiter ist erforderlich, bestimmte Normen über die Entschädigung für Dung, gute Bewirtschaftung zu haben…“

Es gab also immer klare Regeln und Allmende waren immer sanktionsbewehrt.

Das Fazit von Franz Christoph: Die Nachteile (der Allmende) sind durchweg auf’s Konto der menschlichen Natur zu schreiben. Auch in der Allmendwirtschaft wird der unvollkommene Mensch stets das grösste Hindernis für den ideal vollkommenen Wirtschaftsbetrieb sein.“ Das klingt wie aus dem vor letzten Jahrhundert und ist es auch, sagt aber genau das, was wir heute so formulieren: Die so genannte Tragik der Allmende ist immer eine Tragik der menschlichen Gemeinschaft.

Höge meint zudem, wir – die dem Commonsbegriff zugeneigten Linken- unterschätzten die Machtfrage. Mir wird nicht klar wie er darauf kommt.

Ich kenne kaum eine größere Herausforderung für völlig vermachtete Strukturen (Microsoft) als die Strategie von Richard Stallman und der Freien Software Bewegung. Gleiches gilt für die Entwicklung freier Lizenzen als stärkste Waffe in den „Urheberrechtskriegen„. Und wer stellt die Machtfrage so radikal wie die Bolivianer, die das Verbot der Privatisierung der Gemeingüter jetzt in ihre Verfassung geschrieben haben?

Instrumente und Projekte, die Commons in den unterschiedlichsten Eigentumsformen als (oft dezentrale) Räume der Freiheit, der Selbstentfaltung und Selbstorganisation, der Kooperation und Solidarität erweitern sind IMMER eine Herausforderung an die Macht. Sie zielen IMMER darauf ab, Monopole oder absolutes Herrschaftseigentum über Dinge zu knacken.

Ich werde Helmut Höge ein Commonsbuch zur Rezension schicken! Es wird ja bald der Öffentlichkeit vorgestellt. Genauer: Am 23. März 2009 in Berlin, hbs, Schumannstraße 8, 19. Uhr

PS. Der Schlußsatz von Höge ist grandios: Mit Verweis auf meinen Blog steht da: „Möge Gott Ihrer armen Seele gnädig sein: “www.commonsblog.de”. Hach, der liebe Gott. Zu dem habe ich nie gebetet. Mir bleibt deshalb gar nichts anderes übrig, als auf die Macht der Visionen und die Kraft der Ideen, Kreativität und Kooperation zu bauen.

foto on flickr by alexeya

7 Gedanken zu „Commons: Herausforderung der Macht

  1. Pingback: Commons: Herausforderung der Macht

  2. @stefan: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/02/ Punkt 6.

    @all: Als nicht genug „zupackend“ bezeichnet zu werden, damit kann ich ganz gut leben. Insbesondere wenn so eine Unterstellung auch noch mit einem Mao-Zitat unterfüttert wird. Die Sorte von „zupackende“ Politik brauch ich ganz bestimmt nicht.

    Tatsächlich greift deine Kritik an der Kritik aber IMHO zu kurz, Silke. Tatsächlich ist der Commonsansatz nämlich wirklich eine komplett andere Herangehensweise an die Machtfrage. Die Commoners wollen keine Macht erobern um sie dann vielleicht irgendwann mal abzuschaffen. Das verstört Leute wie Höge scheinbar.

  3. Uh, das ist wirklich altbacken, wenn er mit Engels meint, durch »politische Siege sich erst das Gebiet zu erobern, worauf allein solche Dinge auf die Dauer durchführbar« wären. Das ist klassische Revolutions- oder Reformtheorie: Erst die politische Macht (wie auch immer erobert), dann die vorhandenen Mittel nach eigenem Gusto einsetzen (natürlich nur im besten Sinne). Das hat zwei Haken, den einen nennt Benni. Der zweite ist die Logik des Mitteleinsatzes, der in die Mittel eingeschrieben ist: Sie dienen der Verwertung und lassen sich nicht ohne weiteres »umdefinieren« (Beispiel: riesige Flächen für monokulturelle Agrarindustrien), weil die Mittel von den sozialen Zwecken getrennt sind. Commons und Commoning hingegen gehören zusammen. Die sozialen Zwecke werden in die Commons eingeschrieben (und nicht umgekehrt).

  4. Nun, ich hab das nicht so sehr als Kritik an der Kritik schreiben wollen, sondern lediglich den Anlass genutzt, ein bisschen mehr von der historischen Allmendestudie von Franz Christoph zu erzählen. Das wollte ich nämlich schon immer mal machen.
    Natürlich impliziert der Commonsansatz eine ganz andere Herangehensweise, aber auf diese Perspektive kann sich nur einlassen, wer Commons nicht wie die Allmende des 19. Jahrhunderts definiert. Erst wenn ich einigermaßen sicher wäre, dass wir uns darüber verständigen können, worüber wir reden, würde ich mit Höge über die Machtfrage diskutieren.
    Der Commmonsbegriff, den ich verwende, impliziert jedenfalls per Definition die Dekonstruktion von Herrschaft (über andere und über Ressourcen).

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