Von Commonauten, Netcitizen und der Digitalen Republik

David Bollier (hier die Rede zum I-Commons Summit) bringt in seinem neuen Buch Viral Spiral (erscheint 1/2009) „die reale Welt amerikanischer Politik“ auf einen schlichten Punkt:

money talks and bullshit walks. … the system is highly resistant to ordinary citizen action, such is the mismatch of resources.“

Ethik und Dynamik der digitalen Allmendbewegungen (Wikipedia, Freie Software, Jamendo, I-Commons, Freie Bildungsprojekte) könnten dem etwas entgegen setzen und die amerikanische Politik auf Vordermann bringen. Bollier setzt auf die netizen (auch Netcitizen). Auf eine neue Qualität von (Staats-)Bürgerschaft. Oder, wie er sportlich ausdrückt: „a more muscular model of citizenship“. Er nennt das „history making citizenship„.

Der Begriff der Citizenship ist komplex. Es gibt nicht einmal eine gute deutsche Übersetzung dafür. Ich nutze behelfsmäßig folgende Schreibweise: (Staats-)Bürgerschaft. Sozialwissenschaftliche Ausführungen will ich den LeserInnen ersparen. Doch an dem Begriff kommt man in der Commonsdebatte so wenig vorbei, wie die Soziologiestudenten an Thomas.H. Marshalls klassischem Aufsatz zum Thema: „Bürgerrechte und Soziale Klassen“ (1948).

Der argentinische Sozialwissenschaftler und Wasserexperte Esteban Castro formuliert zum Zusammenhang zwischen Commons und Citizenship interessante Thesen. Zum Beispiel, dass die Prinzipien der (Staats-) Bürgerschaft, so wie sie sich in den kapitalistischen Demokratien entwickelt haben, tendenziell im Widerspruch zu den Prinzipien der Existenz von Gemeinschaftsgütern stehen.

Im letzten Jahrhundert wurden die individuellen Rechte mehr gestärkt als die kollektiven.

Castro vermutet nun, dass die „erfolgreiche Verteidigung und Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter zur Entwicklung neuer sozialer Formen beitragen“, die gewissermaßen unsere citizenship (Staats-) Bürgerschaft umkrempeln. (Der Aufsatz Castros erscheint demnächst hier) Es gibt in diesem Zusammenhang alle möglichen Begriffe: green oder environmental citizenship zum Beispiel. (Dobson, A.: Environmental Citizenship: Towards sustainable development. Sustainable Development 15(5) 2007. S. 276-285)

Bollier beschreibt nun in seinem Buch, was hinter soviel Theorie steckt: „Geschichte machende Bürger“ auf dem Weg in die „digitale Republik“. Netcitizen setzen auf mehr als Partizipation. So gesehen birgt der Begriff etwas Revolutionäres, schließlich galt Partizipation jahrzehntelang als Zauberwort. Dabei sind diese Prozesse und die Kämpfe, die sie strukturieren, „merkwürdig unpolitisch und hochgradisch politisch zugleich“. Ein so exzellentes wie lustiges Beispiel dafür liefert der Kulturanthropologe Mike Wesch in einer youtube Analyse, die er mit seinen Studenten erarbeitet hat.

Diese „neuen BürgerInnen“ – aus meiner Sicht die zentralen Akteure eines wie auch immer gearteten commonsgerechten Wirtschaftens- bergen viel Altbekanntes. Häufig erscheinen sie als Altruisten, Freaks, Wolkenkuckucksheimer, Avantgardisten, Kreative, als Nachbarn, Ehrenamtliche oder schlicht als Mitglied einer der exponentiell wachsenden digitalen communities.

Für Bollier sind sie schlicht commoners. Er glaubt, dass diese digitalen Republikaner -inspiriert von Richard Stallmann, Eric Eldred und Lawrence Lessig, mittelfristig das System gründlich umkrempeln. Und meint damit alles: Kommunikationstechniken, Institutionen, Regeln – kurz: das Verhältnis von Markt, Staat und Gesellschaft. Eine Revolution auf die ganz sanfte Art, sich den Instrumenten des Alten bedienend. Ein gutes aktuelles Beispiel dafür ist der Sieg, den Freie Lizenzen jüngst vor einem US Bundesberufungsgericht in Washington davon getragen haben. Lessig, der Guru der Creative Commons Bewegung dazu:

„So for non-lawgeeks, this won’t seem important. But trust me, this is huge.“

In David Bolliers neuen Buch geht es also um die Geschichte und um Geschichten dieser commoners. Um das, was sie jetzt und in der Zukunft bewirken. Es geht um die kulturverändernde Substanz commonsorientierten Denkens. Darum, wie vitale Gemeingüter und jene, die sie in ihren heterogenen Netzwerken tragen, einer lebendigen, radikalen Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen.

Schließlich ist der Kern der Commonsdebatte: to make democracy work for people. Politisch und Ökonomisch. Denn auch die „Produkte“ der commons-based-peer-production entwickeln sich zur existenzgefährdenden Konkurrenz für klassische Produktions- und Verwertungsformen. Sie sind oft besser, vor allem aber leichter zugänglich und anpassungsfähiger.

Das hat vor allem damit zu tun, dass die Commonauten ihre Projekte und die Arbeit die sie tun, selbst wählen. Sie entspricht eher ihren Talenten, Motivationen und Leidenschaften, als das, was eine Institution oder ein Arbeitgeber verfügt.

Ich bin nun keine Berufsoptimistin, aber diese Schlußfolgerungen von Bollier kann ich nur unterstreichen:

„… the commons paradigm is migrating from the margins of culture to the center. The viral spiral, …, may be approaching a Cambrian explosion, an evolutionary leap. „, denn:

„… functioning commons can be powerful levers of change in their own ways. A commons of technical standards for the Web – how mundane! – can achieve more than most antitrust lawsuits. A common pool of information can prevent a company from reaping easy monopoly rents…“

„The power of the commons stems from its role as an organizing template, and not an ideology. Because it is able to host a diverse and robust ecosystem of talent without squeezing it into an ideological strait-jacket, the commons is flexible and resilient.

In der Tat wirkt der Commonsdiskurs fast schon verdächtig unideologisch. Jenseits von Markt versus Staat. Jenseits von Liberalismus versus Sozialismus. Jenseits der Polarisierung.

Ein Gedanke zu „Von Commonauten, Netcitizen und der Digitalen Republik

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