Commons in einer Postwachstumsgesellschaft?

von Adelheid Biesecker [via]

Nachhaltige Postwachstumsgesellschaften sind Gesellschaften, deren Wirtschaft anderen Funktionsweisen und Rationalitätsmustern folgt als die heute vorherrschende kapitalistische Ökonomie. In ihnen gilt es so zu wirtschaften, dass ein gutes Leben für Alle heute und in Zukunft ermöglicht wird und die sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen dabei nicht zerstört, sondern langfristig erhalten und erneuert werden. Der Weg dorthin – nachhaltige Entwicklung – kann als eine Vielzahl von Transformationsprozessen verstanden werden, in denen es um die Um- bzw. Neugestaltung gewohnter Institutionen und Handlungsmuster sowie um vielfältige Umwertungsprozesse geht.

Dies alles sind Prozesse von unbekannter Qualität und mit unbekanntem Ausgang. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) charakterisiert sie als demokratische Suchprozesse[1]. In diesen gilt es, gesellschaftlich umzulernen. Und hier kommen Commons und die sie gemeinsam herstellenden Commoner_innen ins Spiel: Commons sind Güter, „über die im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess Einverständnis darüber erzielt werden muss, dass sie als Gemeingut gemeinwirtschaftlichen Regelungsformen unterliegen sollen.“[2] Hier gelten Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinwohl statt individueller Vorteil, Freiwilligkeit statt Zwang, Aushandlung statt Verfügung, Nutzung statt Kauf, Gemeinbesitz statt Eigentum. Die vielen Beispiele, die es heute für Commons gibt (vom Urban Gardening und Windenergie in Bürger_innenhand über gemeinschaftliche Wohn- und Versorgungsprojekte im Alter bis hin zur neuen Bewegung des Selbermachens) zeigen: Hier wird viel ausprobiert. In diesen Prozessen des Commoning bilden sich neue Handlungsmuster heraus: z. B. suffizienter und konsistenter Umgang mit Gemeingütern, Eigenversorgung und Eigenproduktion statt Warenkauf.

Commons können eine eigene Kraft jenseits von Markt und Staat entwickeln, und von hieraus auch mit beiden Sphären kooperieren. Diese Kraft führt jedoch nur dann zu mehr Nachhaltigkeit, wenn Zeit und Raum gelassen wird für die diskursive Entwicklung neuer Werthaltungen und Bewertungen. Commons und Commoner_innen als Treiber für eine nachhaltige Postwachstumsgesellschaft brauchen eine Offenheit der Gesellschaft für Neues – sie „bedürfen einer starken demokratischen Öffentlichkeit und eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Raumes.“[3] Wie weit die Politik in Deutschland davon entfernt ist, zeigt das Beispiel Energiewende: Anstatt den vielen Commons-Initiativen für energieautonome Regionen diesen Raum zu geben, tut die Bundesregierung alles, um die Energiewende zu einem guten Geschäft für die vier großen Energiekonzerne werden zulassen – und entzieht so das Gemeingut Energie der Sphäre gemeinsamen Handelns. [4]

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12 Gedanken zu „Commons in einer Postwachstumsgesellschaft?

  1. Schön, dass der Brückenschlag zwischen Postwachstum und Commons mehr und mehr thematisiert wird. Und volle Zustimmung zur Begründung: Commons sind Vehikel für Umlernprozesse auf dem Weg zur „Großen Transformation“ und damit sehr relevant für die Abkehr vom Wachstumsparadigma.

    Natürlich ist es legitim, in diesem Kontext die Bundesregierung anzugreifen, wenn sie die Energiewende nicht richtig voran bringt und damit 100%-Erneuerbare-Energien-Regionen und lokale Energiegenossenschaften nicht richtig fördert. Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache, was den Erfolg dieser Initiativen angeht: 1/3 aller Menschen in Deutschland leben bereits in Regionen, die diese Ziel anstreben. Die Bundesregierung fördert ihre Gründung konkret mit dem 100%-EE-Programm, dass vom Institut für dezentrale Energietechnologien betreut wird (http://www.100-ee.de/index.php?id=projekt). Und laut Burkhart Flieger, dem Experten in Sachen Energiegenossenschaftsbewegung, ist auch diese Organisationsform stark im Kommen, mit etwa 300 Neugründungen in den letzten Jahren (dieser Artikel verweist auch auf andere Bereiche, in denen Genossenschaften gegründet werden: http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/12/gruenderboom-bei-genossenschaften/).

    Selbst wenn diese Erfolgsgeschichte gegen den teilweisen Widerstand der Bundesregierung läuft, ist sie doch anzuerkennen. Von unten wächst dort mehr nach, als man gemeinhin denkt und aus Commonsperspektive bisher wahrgenommen hat.

  2. Hi Daniel, ich verstehe Biesecker da so:

    Was die Bundesregierung Energiewende nennt tut so, als müsse man nur die Ressourcenbasis austauschen, aber die Produktions- und Distributionsstrukturen könnten so bleiben (ein bisschen Förderung dezentraler Strukturen tut dem keinen Abbruch). Da wird allen erklärt, dass wir große neue Infrastrukturen und viel mehr Geld brauchen, und dann werden Pflöcke eingeschlagen (Trassen gebaut, Offshore-Windparks usw) gegen die sich niemand wehren kann.

    Den Erfolg der Initiativen, die Du beschreibst, sehe ich durchaus, aber er kann eben diese megalomane Politik nicht verhindern, die wir alle mitbezahlen (müssen – nix mit Selbstbestimmung) und das ist ein soziales und politisches Problem, das noch die ganze „Energiewendeidee“ diskreditieren wird. Man kann nicht beides gleichzeitig haben. Daran ändert auch ein bisschen Genossenschaftsförderung nix.

    Ein Wort noch zu den Genossenschaften: Nicht die Form überbetonen, entscheidend ist die Frage, was das Ziel dieser Genossenschaften ist. Hier in Jena z.B. (wird von Flieger gern als Beispiel verwendet), kauft die Genossenschaft der Stadt die Anteile ab (manche nennen das Privatisierung) und verkauft ihren Mitgliedern die Mitgliedschaft in erster Linie als gute Anlagemöglichkeit.
    Das hat alles seine Gründe, aber ist noch nicht unbedingt demokratischer oder commons-mäßiger als das, was wir hier vorher hatten. Ich sag immer: Nicht überall wo Genossenschaft draufsteht ist Commons drin.

  3. OK, ich unterschreibe die hier vertretenen Thesen zu 100%. Aber trotz aller Kritik: Hätte vor 30 Jahren irgendwer angenommen, dass Diskussionen dieser Art – wie in diesem Beitrag angeschnitten – jemals geführt werden können? Damals war es nicht mal absehbar, dass sich eine Industrienation wie Deutschland irgendwann (!) von einer Technologie wie der Atomkraft verabschieden wird. Und das Thema Energiewende (abgesehen davon, dass der Begriff nicht existierte.) wurde höchsten belächelt.

    Insofern zeigt die hier geführte Diskussion, dass es sehr wohl Fortschritte in vielen Bereichen gibt. Und: auch wenn die dt. Regierung natürlich nicht gerade die Avantgarde in gesellschaftspolitischen Fragen darstellt, ist es doch so, dass die Energiewende eine Entscheidung ist, die – für einen Industriestaat dieser Größenordnung – einmalig ist.

    Fazit: Es gibt noch viel zu tun, aber es wurde – allen Unkenrufen zum Trotz – auch bereits viel erreicht. Selbst wenn das Viele, das erreicht wurde, für manche lächerlich klein wirkt. Aus der Perspektive der 80er Jahre betrachtet ist das Erreiche aber gigantisch!

    • Also, eigentlich bin ich es ja immer, die hier und überall verkündet, was es für tolle Ideen gibt, dass es viel Grund zur Hoffnung gibt, da wir viele kreative Köpfe haben und Kreativität bekanntlich unendlich ist…
      und dann werde ich immer gefragt: „Warum sind sie so optimistisch? Lesen Sie denn keine Zeitung? Kennen Sie denn die Machtverhältnisse nicht?. Also, keine Sorge, ich sehe, was „on the ground“ (und manchmal auch in der Politik) voran geht, aber ich sehe eben auch, wo Pflöcke eingeschlagen werden, die Pfadabhängigkeiten schaffen oder gewohnte Muster ritualisieren usw.

  4. gilt es so zu wirtschaften, dass ein gutes Leben für Alle heute und in Zukunft ermöglicht wird und die sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen dabei nicht zerstört, sondern langfristig erhalten und erneuert werden.

    Das ist doch mal eine genial einfache und treffliche Bestimmung der Perspektive einer „nachhaltigen Entwicklung“! Schwierigkeiten habe ich mit dem Terminus „Nachhaltige Postwachstumsgesellschaft“. Wird das Adjektiv „nachhaltige/s“ an gewöhnlich (ethisch) neutrale Bestimmungen wie „Gesellschaft“, „Wirtschaft“ oder „Politik“, gekettet, erschließt sich das Gemeinte nicht, ohne sich das an sich nur im Kontext mit dem Subjektiv bedeutende Adjektiv als mit eigenem Geist beseeltes (für sich allein stehendes) Bestimmungswort vorzustellen, was einer Fetischisierung gleich kommt. Ich sehe das deshalb als ein entscheidender Schritt in eine technokratische Phrasenblubberei. Nachhaltige Gesellschaft oder Politik? Was soll das sein?

    Mit „Entwicklung“ ist in dem Kontext immer Entwicklung von Wohlstand und wirtschaftlicher Stärke gemeint, und es erschließt sich intuitiv, dass „nachhaltige Entwicklung“ bedeutet, dass das Erreichte auch auf langer Sicht anhalten also auch nachhaltig ein Vorteil/Fortschritt gegenüber dem Gegebenen sein kann.

    Postwachstumsgesellschaft? Naja, wenn man den strukturellen Zwang zum Wirtschaftswachstum um jeden sozialen bzw. ökologischen Preis und die unter diesen Umständen fatale Interessiertheit nahezu aller Gesellschaftsglieder am sozial bzw. ökologisch mehr oder minder blinden Kaufkraftwachstum „Wachstumsgesellschaft“ nennen möchte, dann ist das ein netter Gegenbegriff.

    Meines Erachtens sollte aber unter einer nachhaltigen Entwicklung eines guten Lebens explizit verstanden werden, dass sich die (Welt-)Gesellschaft die Möglichkeit erarbeitet, dass die Globalisierten dieser Erde ihr menschliches Füreinander miteinander auf dessen soziale bzw. ökologische Vernünftigkeit überprüfen und die Produktionsmethoden, -mengen, -zwecke usw. entsprechend miteinander abstimmen zu können.

    Und was anderes bedeutet die Commons Perspektive? (Die allerdings auch z.B. bedeutet, dass die Gebrauchsenergieerzeugung kein Common IST, sondern dazu gemacht werden sollte)

    • dass sich die (Welt-)Gesellschaft die Möglichkeit erarbeitet, dass die Globalisierten dieser Erde ihr menschliches Füreinander miteinander auf dessen soziale bzw. ökologische Vernünftigkeit überprüfen und die Produktionsmethoden, -mengen, -zwecke usw. entsprechend miteinander abstimmen zu können.

      Was heißt, rational, d.h. im Bewusstsein der Voraussetzungen und Wirkungen entscheiden zu können, was wachsen und was lieber schrumpfen sollte.

  5. Liebe Silke,

    natürlich hast du recht: ein Großteil der heutige Politik legt die Infrastruktur von morgen nicht unbedingt zu Gunsten der Commons aus. Und trotzdem macht sich eine so große Anzahl an Regionen auf, eine andere Art der Energiewende zu praktizieren. Dass dabei nicht alles völlig stimmig ist und auch schwarze (weil strukturkonservative) Schafe unter den Energiegenossenschaften zu finden sind, finde ich nicht ungewöhnlich. Sich darüber zu ärgern kann im konkreten Fall Änderungen provozieren, aber aus der Gesamtsicht (und auf dem Level argumentieren wir doch), sind es die Lerneffekte in der breiten Bevölkerung, die zählen. In der jüngeren Geschichte kamen fundamentale Verschiebungen nie über Nacht, wie Raphael gut dargestellt hat. Es braucht die Erfahrung vieler mit dem commonsförmigen Leben. Und je mehr Praxisbeispiele die Realität zu bieten hat, desto wahrscheinlicher wird es, dass der Rückhalt für die Idee der Commons in der Bevölkerung größer wird.

    • …Es braucht die Erfahrung vieler mit dem commonsförmigen Leben…
      Ja, genau darum gehts. Um die Erfahrung, dass „anderes“ Wirtschaften eigentlich nicht nur möglich ist, sondern sogar einfacher oder „menschlicher“ ist. Ich bin z. B. Mitglied einer Artabanagruppe und finde dass in so einer Artabanagruppe die Begrifflichkeit von Gesundheit/Krankheit ganz anders definiert wird als in einer herkömmlichen Kasse. Das ist ein tolles Gefühl und außerdem kostengünstiger als eine herkömmliche Versicherung. Und hat zudem auch den Vorteil dass man nicht nur im Krankheitsfall abgesichert ist, sondern sogar in der Gruppe voneinander lernen kann und in der Gruppe Freunde findet.

      Oder ich habe mein Konto auf einer „grünen Bank“ und finde diese Bank einfach angenehmer als eine „normale“ Bank, weil… Ja einfach weil ich gerne zu den Veranstaltungen meiner Bank gehe. Da gehts nicht nur um Themen wie „die ultimative Geldanlage“ sondern darum, wie wir mit einer gewissen Leichtigkeit und einem spielerischen Ansatz eine attraktivere Zukunft gestalten können und uns dazu des Mittels Geld bedienen können.

      Ich hab hier ( http://www.jkms.info/blog/blogparade-zum-thema-banken-uberarbeitet/ ) eine Blogparade gestartet in der ich zur Diskussion über das Bankenwesen aufrufe. Warum nämlich die „grünen Banken“ eigentlich dieses Präsikat „grün“ oder „besonders“ oder auch „fair“ umgehängt kriegen sollen und die üblichen Banken kein Attribut verliehen bekommen. Denn eigentlich sollte es anders sein: Eine Bank sollte eine Institution sein, die mithilfe ihres Werkzeuges (Geld) etwas schafft, das für alle nützlich ist. Und nicht eine Vereinigung von Halsabschneidern, die sich eigentlich nur auf Kosten anderer bereichern möchte.

      Wer mal erfahren hat, dass alle Dinge, die wir so haben und nutzen, für alle da sein können und dass es viel mehr Spass macht diese Dinge in Kreisläufe einzubringen, der wird das liebend gerne als „normal“ empfinden und dieses extreme Konkurrenzdenken als krankhaft oder perveriert. (Nix gegen ein wenig Konkurrenz. Die kann auch ein Antrieb sein. Aber nur noch Konkurrenz – wie in einem kapitalistischen System – ist nicht gut.)

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