Welche Freiheit der Meere?

Die „First Lady of the Oceans“, die erste Frau des Club of Rome, Lieblingstochter von Katia und Thomas Mann hat „Generationen von Hunden“ (O-Ton) Klavierspielen beigebracht. Die Lernfähigkeit der Vierbeiner -im Gegensatz zu der der Menschen- faszinierte sie. Wohl auch, weil die Gründerin des International Ocean Institute of Malta zu der Erkenntnis gelangt war, dass ihre Artgenossen den Weg zum Neuanfang immer direkt durch die Katastrophe wählen. (siehe Jörg’s post zum Klima)

Als ich vorgestern im Deutschlandfunk die Wiederholung dieses berührenden Interviews von Wolf Gaudlitz mit Elisabeth Mann Borgese hörte, fiel mir ein kurzer Text von ihr wieder ein.

Die Frau, die die Erlöse der Bücher ihres Vaters in die Rettung der Meere investiert hat…… muss zum Zeitpunkt des Interviews um die 80 gewesen sein. Doch ihrer unbändigen Lebensfreude, die aus jedem Satz sprüht, und ihrem rastlosen Einsatz für „das gemeinsame Erbe der Menschheit“ tat das keinen Abbruch.

Das „Gemeinsames Erbe der Menschheit“ ist im Artikel 136 des Seerechtsübereinkommens der UN (SRÜ oder UNCLOS) definiert. Und so heißt auch der empfehlenswerte Text, der hier auf deutsch nachzulesen ist. Mann Borgese, seit 1980 – damals 62!- Professorin für Seerecht an der Universität Halifax/Kanada, erinnert an die Ideengeschichte der „Freiheit der Meere“. Der einst visionäre Begriff gehört seit einigen Dekaden auf den Prüfstand.

Die Geschichte der „Freiheit der Meere“

„reicht fast 400 Jahre zurück – … als Hugo Grotius seine … Dissertation Mare Liberum (1609) verfaßte. Der Ozean …wäre so riesig, daß er, gleich der Luft, durch niemanden zu eigen gemacht werden könnte. Daher herrsche Freiheit.

Doch mit der Entstehung der Nationalstaaten und deren Souveränität, entstand die sogenannte „Territorialsee“ und zwar

„so weit, wie das Auge sehen oder eine Kanone schießen konnte.“

Heute sind das die vom Festlandssockel aus gerechneten 200 Seemeilen Küstengewässer, über die die Anrainerstaaten Souveränität ausüben. Innerhalb dieser 200 Seemeilen liegt die ausschließliche Wirtschaftszone des jeweiligen Küstenstaates (und – kein Zufall – auch die wichtigsten Fischbestände).
Erst im 19. Jahrhundert, schreibt Mann Borgese,

wurde die Freiheit der Meere ideologisch mit anderen Freiheiten in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Laissez-faire-Wirtschaftstheorie.“

Was danach kam ist bekannt: die angebliche Unendlichkeit der Ozeane und die ebenso angebliche Unerschöpflichkeit der Fischbestände legitimierte die Dehnung des Begriffs der „Freiheit der Hohen See“. Dieser schloss nach und nach

„die Freiheit des Fischens, die Freiheit der Navigation (einschließlich der Freiheit des Müll-Abladens), die Freiheit der Kabelverlegung und, im 20. Jahrhundert, die Freiheit des Überfliegens“ mit ein.

Man ist versucht, dass Wörtchen Freiheit in immer dickere Anführungszeichen zu setzen. Das Urteil der Mit-Initiatorin des SRÜ fällt entsprechend deutlich aus:

„Das eurozentristische Dogma der Freiheit der Meere … machte aus dem Ozean die Autobahn für Eroberungszüge und imperialistische Machtausübung.“

Doch dann, 1967, kam der maltesische UN-Botschafter Arvid Pardo, ihr zweiter Lebensgefährte. Pardo erklärt vor der UN in einer historischen 3-stündigen Rede, dass

„ein völlig neuer Grundsatz“ nötig sei, „der höher wiegt als die Freiheit der See und die Seehoheit.“ Da diese „einerseits die weitere Verminderung ihrer lebenden Ressourcen und die Zerstörung ihrer Ökologie“ mit sich brächten und andererseits ein Sicherheitsrisiko seien, denn „die weitere Ausdehnung der Hoheitszonen, würde sicher so geschehen, wie „dies die Kolonialmächte im vergangenen Jahrhundert mit Afrika praktizierten“.

Pardo nannte diesen neuen Grundsatz den Grundsatz des gemeinsamen Erbes der Menschheit (Common Heritage of Mankind/ Common Ownership of Mankind) und erklärte, daß ein Gebiet und seine Ressourcen, die diesem Grundsatz unterworfen würden, von niemandem (individuell – S.H.) in Besitz genommen werden könnten. Beides sollte zugunsten der gesamten Menschheit verwaltet und für friedliche Zwecke wie auch für künftige Generationen bewahrt werden.

Pardo gelang es auf geschickte Weise (siehe Artikel), die Versammlung der UN davon zu überzeugen, den Meeresboden inklusive der dort lagernden Ressourcen als gemeinsames Erbe der Menschheit zu definieren. In den kommenden zwei Dekaden wurde klar, das das Prinzip auf den gesamten Ozean angewendet werden musste.

Weder Pardo noch Mann Borgese verteidigten das Konzept des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit“, ohne die notwendigen Institutionen mitzudenken. Pardo gilt als Gründungsvater des SRÜ, Mann Borgese hat am Zustandekommen desselben entscheidenden Anteil.

Denn die Krux des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit ist ja, dass sich „die Menschheit“ an sich nicht kümmert. Es bedarf also -wie bei jedem global common- eines internationalen Regimes bzw. Sachwalters, zur Gewährleistung von Sicherheit, nachhaltiger Nutzung, Konfliktschlichtung, Regelkontrolle usw. Und zwar unter Berücksichtigung der Interessen der Ärmsten und der Freiheit der Forschung, wie Pardo explizit einforderte.

Für die Meere und den Meeresraum gibt es solch ein Regime. 1994 trat die SRÜ in Kraft, die Probleme der Überfischung und des Missbrauchs der Ozeane als Müllhalde sind damit nicht aus der Welt. Vielmehr wird unser gemeinsames Erbe weiterhin geplündert; “ „Fischbestände vor dem Aus“ – lautet die topaktuelle Warnung (siehe z.B. dieser GEO-Artikel sowie tabellarische Übersicht der FAO).

Jetzt killt auch noch die Klimaerwärmung die Fischbestände. wie Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven nachwiesen.

Aber deswegen das Prinzip des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit“ für obsolet zu halten (wie das vielfach im Umfeld der CBD-Debatte geschieht), ist falsch. Gemeinsames Erbe/ Gemeinsamer Besitz heißt immer, dass es kein Veräußerungs- und kein Missbrauchsrecht gibt, weil dieses den Mitbesitz der Anderen betreffen würde. Das Prinzip ist also richtig und die Benennung der „Menschheit“ als kollektiver Besitzer ebenso. Vielmehr muss die Verbindung mit anderen Ideologien wie der „Freiheit liberalen Wirtschaftens“ aufgelöst werden. Und es ist dafür zu sorgen, dass die Verhandlungen zu global commons nicht so geführt werden, wie „dies die Kolonialmächte im vorvergangenen Jahrhundert mit Afrika praktizierten“.

Dafür hat sich Elisabeth Mann Borgese seit Ende der 60er Jahre eingesetzt. Sie und Pardo waren Visionäre. Ob die SRÜ als Institution diese Visionen zu verteidigen vermag, dh, ob sie die damit verbundenen Machtfragen im Interesse des Erhalts unseres gemeinsamen Erbes zu lösen versteht, wird sich zeigen.

Die Hunde, die viel und schnell von Mann Borgese lernten, spielten übrigens mit der Schnauze auf extra großen Tasten eines Hundeklaviers.

foto by tim.md on flickr

4 Gedanken zu „Welche Freiheit der Meere?

  1. Guten Tag,

    leider geht der Link zum Artikel von Elisabeth Mann-Borgese nicht mehr & die Zeitung ist vergriffen. Gab es irgendwelche Parralelveröffentlichungen des Textes (auf englisch oder französisch)?

    Vielen Dank für jeden Hinweis!

  2. Leider kenne ich den Originaltext von Mann-Borgese (noch) nicht. Allerdings scheinen mir einige Zitate daraus zu kurz zu greifen.
    Grotius begründet die Freiheit der Meere nicht nur aus deren Größe und Unerschöpflichkeit, sondern auch darauf, dass alle Menschen und Völker ein ursprüngliches Recht auf ihre Nutzung haben. Er betrachtet das Meer als ursprüngliches Gemeingut, für das aufgrund seiner Dimensionen das allgemeine Recht auf freie und unbegrenzte Nutzung bestehen bleiben soll. Bei Fällen, in denen diese Fülle nicht mehr gegeben ist (drohende Übernutzung), plädiert er dafür, die Nutzungsrechte anzupassen und sie einem Einzelnen oder einer Gruppe zuzuteilen. Entscheidend ist dabei Grotius´ Voraussetzung, dass diese Rechte die Durchführbarkeit (allgemein) gewünschter Nutzungen sichern sollen. Solche Überlegungen finden sich also in Grotius Mare Liberum, haften dem Meeresfreiheitsprinzip bei seiner späteren völkerrechtlichen Karriere aber nicht wirklich an.
    Außerdem ist hervorzuheben, dass das Prinzip nicht erst später in einen Wirtschaftskontext gestellt wurde, sondern schon bei Grotius (der im Auftrag einer niederländischen Handelskompagnie schrieb) in enger Verknüpfung etwa mit dem Freihandel im Zuge der wirtschaftlichen Ambitionen der Niederlande in die „Neue Welt“ begründet wird.

  3. @hf, bedauerlicherweise hat MARE den Text von Mann-Borgese depubliziert (was für ein Unwort für ein Unding!) Ich wäre selbst dankbar, wenn ich wieder an eine Kopie kommen könnte.
    Danke für die detaillierteren Ausführungen zu Grotius! Für genaue Quellenangabe bei Grotius bzw. Zitat in dem er diese Voraussetzung vormuliert (an Kant erinnernd) würde ich mich freuen. Die Freiheit in einer endlichen oder begrenzten Welt durchzubuchstabieren geht sicher nur über das Paradigma des Teilens und natürlich darüber, dass die „allgemein gewünschten Nutzungen“ (wer wünscht was zu welchem Zweck) in jeder Generation wieder neu durchgefochten werden müssen. Schließlich waren zu Zeiten des Mare Liberum Nutzungen wie Schleppnetzfischerei noch nicht denkbar.

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