Kennen sie Leipzig Neustadt? Von Stadtteilen und städtischen Gemeinschaftsgütern

by Philippe Manning on flickr„Urban commons“, städtische Gemeinschaftsgüter: das sind öffentliche (Spiel-) Plätze, lokale Märkte, Begegnungszentren, das Grün zwischen den Häusern, das ein oder andere Kunstwerk auf den Straßen, die sich im Sommer belebenden Gehsteige. Kurz: die Infrastruktur, um Städte und Stadtteile mit Leben zu füllen.

Kennen Sie Leipzig-Neustadt? Ein Viertel in Bahnhofsnähe, etwas abseits vom historischen Zentrum, abseits von den bevorzugten Sanierungsgebieten. Ich habe Neustadt -trotz räumlicher Nähe- während meiner Studienzeit bis zum historischen Wendejahr kaum aufgesucht. Zu düster, zu trist, zu wenig Leben. Am Wochenende war ich dort, 18 Jahre später – ein bewußter Gang durch diese mir nun vollends fremd gewordene Gegend.

Neustadt ist teilsaniert, das ein oder andere bemerkenswerte Kunstprojekt, soziale Initiativen neben farblosen Neubauten und manch liebevoll saniertem Wohnhaus. Zugleich jede Menge Baulücken und weiterhin viel Tristesse und Verfall. Es hat mit Sicherheit nicht nur am miesen Wetter gelegen, daß dieser Leipziger Ecke noch immer fehlt, was einen Stadtteil zu einem lebendigen, in der Vergangenheit wurzelnden doch sich stets verändernden Ort der Begegnung macht. Dort, wo früher DDR-MieterInnen die schlichten Wohnbedingungen als gegeben hinnahmen, scheint es in nur wenigen Jahren einen kompletten Austausch der BewohnerInnen gegeben zu haben. Billigladen reiht sich an Billigladen, orientalischer Fastfoodshop an Fastfoodshop. Die MigrantInnen aus der Türkei und arabischen Ländern haben eine neue -offenbar recht selbstbezogene- community aufgebaut. Das hätte sonstwo in der Welt sein können, in Neukölln oder einer Vorstadt von Paris.

Wie sollten sich die neuen BewohnerInnen um das kümmern, was Neustadt eigentlich ausmacht, um Geschichte, Charakter und den längst verloren gegangenen Charme des Ortes? Eine Frage, die sich in der Nachwendezeit sicher niemand gestellt hat. Man hat stattdessen die Besitzverhältnisse neu geregelt. Im real existierenden Sozialismus gab es die staatliche Wohnungsverwaltung einerseits und die Mieter/innen andererseits (die nur selten Hausbesitzer waren). Im real existierenden Kapitalismus gibt es nun BesitzerInnen und Investoren einerseits (sie kümmern sich sichtbar um ihr individuelles Eigentum, wie z.B. hier) und die neuen MieterInnen andererseits. Was fehlt ist irgend etwas dazwischen. Ich will es MitbesitzerInnen nennen, MitbesitzerInnen an den urban commons. Eben jene, die einen Bezug zum Stadtteil haben, die die Entwicklung desselben als Anliegen betrachten, mit Neustadt gewachsen sind, sich um dieses Stückchen städtischen Lebens kümmern.

Was commons zu commons macht ist gerade dieser soziale Bezug. Ein Gemeinschaftsgut bleibt nur dann der Gemeinschaft verfügbar, wenn Menschen das, was sie als ihrem Leben zugehörend betrachten „in Obhut nehmen“. Gemeinschaftsgüter sind von Gemeinschaft nicht zu trennen, sie brauchen nicht nur Gemeinschaft, sie schaffen sie auch. Leipzig-Neustadt ist diese Gemeinschaft, sind diese „Kümmerer“ abhanden gekommen. Weder staatliche Verwaltung noch privatwirtschaftliche Organisation haben daran etwas zu ändern vermocht.

Foto: by Philippe Manning on flickr

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