Tango ist Weltkulturerbe

„El tango pasa por vos como la geografía pasa por el ecuador.“ VAZQUEZ MONTALBAN

Die begehrteste Ressource der Tangueras und Tangueros ist der Flow, jenes völlige Aufgehens in dem, was man gerade tut. Tangotanzen erzeugt Endorphinschübe – nach harter Arbeit und mitunter irritierenden Begegnungen in der Tangocommunity.

Deswegen ist es kein Zufall, dass die Anhängerschaft des im 19. Jahrhundert entstandenen Tango kontinuierlich wächst, auch hier in Deutschland. Berlin gilt den europäischen tangueros gar als Geheimtipp. Die Regeln der unterschiedlichsten Tangostile haben sich im Lauf der Zeit gebildet: Sie haben sich Tanz-Schritt für Schritt zu komplexen Kombinationen und Figuren fortentwickelt. Wer auf der Milonga bestehen will, muss Einfaches beherrschen: Das Gehen in Tanzrichtung etwa. Das klingt einfacher als es ist. Wer derlei Regeln missachtet, wird es schwer haben in der Tangocommunity. Der Tango hat also all das, was eine Sache zum Commons macht.

Die UNESCO hat nun diesen unvergleichlichen Tanz und alles was dazu gehört zum Weltkulturerbe erklärt. Die Konvention zur Wahrung des Immateriellen Kulturerbes von 2003 (von der Bundesrepublik noch nicht ratifiziert) macht’s möglich. Ich find’s großartig! Die Süddeutsche allerdings (und nicht nur die) mokiert sich. Adrian Kreye offenbart dabei, dass er weder den Grundschritt des Tangos – für die Milonga geht der so: Tango Negro – eine meiner Lieblingsmilongas ….

noch den Kulturbegriffs der UNESCO in den Grundzügen beherrscht. Die sagt: „Im Sinne dieses Übereinkommens

1. sind unter „immateriellem Kulturerbe“ die Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten – sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume – zu verstehen, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen. Dieses immaterielle Kulturerbe… wird von Gemeinschaften und Gruppen … fortwährend neu geschaffen und vermittelt ihnen ein Gefühl von Identität und Kontinuität. Auf diese Weise trägt es zur Förderung des Respekts vor der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität bei.“

Dazu gehören:

  • mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger immateriellen Kulturerbes;
  • darstellende Künste;
  • gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste;
  • Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum;
  • Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken.

Welcher Kategorie, Herr Kreye, schlagen Sie „die deutsche Gemütlichkeit“ zu?

Die meisten Menschen, die so etwas Grandioses wie Phantastango (ein schlicht phantastisches Mitmach-Tangocamp) auf die Beine stellen, können sich konkret etwas darunter vorstellen, wenn die UNESCO abstrakt formuliert, dass sie die

Identifizierung, Dokumentation, Erforschung, Erhaltung, … Aufwertung, Weitergabe, insbesondere durch formale und informelle Bildung, sowie die Neubelebung der verschiedenen Aspekte dieses Erbes“ fördern will.

Sie können sich auch vorstellen, dass das Ihr Engagement aufwertet. Reputation ist die Währung, mit der hier gezahlt wird. Anders als die Banken kriegen nämlich die, die täglich unser Leben bunter, vielfältiger und lebendiger machen meist nix vom Staat. Ebensowenig die Menschen, die Spuren kultureller Erinnerung legen.

Auch der Spiegel weiß um Geschichten, die das Anliegen der UNESCO anfassbar machen wenn er beschreibt, wie „der Instrumentenbauer Oscar Fischer in Buenos Aires dafür sorgt, dass das wichtigste Instrument des Tangos (das Bandoneon – S.H.) nicht verstummt.“

Bandoneons sind zu „kostbaren Schätzen“ geworden, nach denen man  lange suchen muss. Insbesondere Bandoneons aus ehemals erzgebirgischer Produktion sind gefragt, doch die Unterlagen für deren Reproduktion sind den damaligen Enteignungswirren zum Opfer gefallen.

Die Instrumentenbauer in Argentinien werden sie nicht wiederbeschaffen können.

„Am berühmtesten sind die Instrumente aus der nicht mehr existierenden Fabrik von Alfred Arnold (AA) in Carlsfeld (Eibenstock), einem kleinen Ort im Erzgebirge. Von dort wurden bis ca. 1945 ungefähr 30.000 Bandoneons nach Argentinien und Uruguay exportiert. Mit dem Ende der Bandoneonproduktion um 1948 (durch Enteignung der Firma) verschwanden allerdings die Unterlagen für den dortigen Bandoneonbau. Arno Arnold, ein Neffe des Gründers Alfred Arnold, produzierte in der Rhein-Main-Gegend noch einige Jahre lang Bandoneons, die aber nicht mehr die Qualität der AA-Instrumente erreichten. Bei diesen Instrumenten aus den 50er Jahren waren die Stimmplatten meist aus Aluminium statt Zink. Weltweite Forschungen und Bauversuche erreichen bis heute nicht den unvergleichlichen Ton der alten Instrumente.“

Entnehme ich der Wikipedia.

Heute gibt es nur noch drei Bandoneonbauer in Buenos Aires. Sie arbeiten auf individuelle Bestellung. Wenn ausländische Touristen ein Bandoneon als Souvenir erstehen wollen, so berichet der Spiegel, brauchen sie bei diesen „Letzten ihres Handwerks“ nicht vorstellig werden. Die nämlich verkaufen nur an Musiker. An Menschen, die das immaterielle kulturelle Erbe lebendig halten.

Experten schätzen, dass es heute höchstens noch 20 000 Bandoneons gibt.

Und hier noch ein Instrumentalklassiker: La Cumparsita (Juan D’Arienzo)


5 Gedanken zu „Tango ist Weltkulturerbe

  1. Nur um die Gemeingüter – Diskussion noch mit einem neuen Begriff durcheinander zu bringen :

    Hartmut Esser weißt darauf hin, dass manche Güter, für die sich Menschen besonders interessieren, nur durch Kooperation mit anderen Menschen produziert und konsumiert werden können. So ist es auch ausgerechnet ein Autor dieses Namens, der erkennt, das der gemeinsame Verzehr von Genuss- und Nahrungsmitteln, wie der gemeinsam gerauchte Joint oder die Anwesenheit von Freunden bei einem Abendessen schon technisch bedingt nur in Kooperation und Geselligkeit mit anderen Menschen erzeugt werden kann und dass der Nutzen dieser Güter bereits im Akt der Kooperation liegt.
    Solche Art Güter nennt er Kommunalgut.

    Das Tangotanzen an sich passt m.E. prima in diese Kategorie des Kommunalgutes hinein. Denn (wie es schon an anderer Stelle heißt): It takes two to tango.

  2. It takes more than two…

    Der Tanz, der in dieser Form zwei benötigt, ist ohne die melodische/rhytmische Begleitung nicht denkbar.

    Die Definition als Kulturerbe umfaßt in diesem Zusammenhang eine Vielfalt von Akteuren: Die „Erfinder“ des Tango, die Konstrukteure und Entwickler des ursprünglichen Volksmusikinstruments Bandoneon (das mehr zufällig in diese Musik gelangte), die Hersteller desselben, die Musiker und eben die Tänzer (und nicht zuletzt die Zuhörer/Konsumenten). Daß heute ein engagierter Instrumentenbauer nur für engagierte Musiker baut, ist Teil dieses Zusammenhangs.

    Erhalt diese Kulturguts heißt nicht (nur), historisierend tätig zu sein. Glücklicherweise ist es eine lebende Kultur, auch dank der Reanimation durch Komponisten wie Astor Piazolla, dessen Werke ebenso in Konzertsälen wie in Hinterhöfen gespielt (und vor allem getanzt) werden.

    Im Sinne der im Artikel genannten Definition eines Kulturgutes sind alle Komponenten enthalten – allerdings nicht eingeschränkt auf regional begrenzte Akteure, sondern inzwischen weltweit – und in lebenden Formen, die mit der Tradition nur noch wenig, dafür aber viel mit dem Lebensgefühl zu tun haben.

  3. Pingback: Tanz als kooperativer Wettstreit « CommonsBlog

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