Auch Commoners „haben was auf dem Kerbholz“

Das war eine Woche! Ich bin etwa 2500 Kilometer Zug gefahren, eine typische „einsteigen-arbeiten-ankommen-einchecken-smalltalken-vortragen-debattieren-absacken-emailen-auschecken-einsteigen-arbeiten-undsoweiter Tour.“ Sie führte mich nach Graz, Wörgl und Innsbruck und liegt inzwischen fast vier Monate zurück. Zwei Stunden Zeit fanden sich für einen Gang durch Wörgl und einen individuell geführten Kurzbesuch (1000 Dank an Veronika!) im Heimatmuseum. Dort begegnete ich dem Bedeutungswandel, den der Spruch „etwas auf dem Kerbholz haben“ auf dem Buckel hat.

kERBHOELZER IN wOERGL

Kerbhölzer im Heimatmuseum Wörgl, via http://www.neuesgeld.com/page.php?id=33

Im Wörgler Museum liegen sie aufgereiht nebeneinander.

Es sind einige der kreativer gestalteten Exemplare, von denen es leider nicht mehr so viele gibt, denn die Leute hielten sie – Alltagsgegenstände eben – für wertlos und haben sie verfeuert.
Kerbhölzer dienten in Wörgl/Tirol als Verrechnungssystem für die Organisation von Gemeinschaftsarbeit. Man könnte sagen: Ein Kerbholz ist Teil einer Allmendeinstitution, der sich – wie so viele Allmendeinstitutionen – über Jahrhunderte hielt: in Wörgl von der Römerzeit bis 1870. In der Alm- bzw Alpwirtschaft wurden Kerbhölzer bis ins 20. Jahrhundert genutzt.

Die Leute haben darauf vermerkt, wie viele der ihnen auf der Dorfversammlung je nach Wirtschaftskraft zugeteilten Arbeitsschichten für die Instandsetzung- oder -haltungsarbeiten gemeinsamer Flächen und Infrastrukturen bereits abgeleistet waren. Es ist gewissermaßen ein frühes System doppelter und damit relativ fälschungssicherer Buchführung, denn

„einen bekam der Dorfmeister, den anderen der Bauer. War die Arbeit erledigt, wurden die Kerben bei beiden Stäben aus dem Holz geschnitten.“

Korrekt müsste man eigentlich von einem Paar Kerbhölzer sprechen (Kerbstöcke, Zählhölzer oder Zählstäbe genannt). Schließlich wurde

„ein geeignetes längliches Brettchen oder ein Stock“ … „mit Symbolen markiert. Anschließend wurde der Stock längs gespalten, so dass Schuldner und Gläubiger je die Hälfte der eingeritzten Markierung auf ihrer Stockhälfte dokumentiert fanden. Wieder zusammengefügt zeigte sich zweifelsfrei, ob die beiden Hälften zusammengehörten oder ob eine Hälfte nachträglich manipuliert worden war.“ (wikipedia)

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Vorläufer der Kerbhölzer: Der Ishango-Knochen, bereits über 20.000 Jahrevor der Entwicklung von Schrift und Zahl in Gebrauch. By Ben2, Lizenz: CC BY SA

 

Das System kennt man in Europa ab dem 10.Jahrhundert. Wer der Gemeinschaft Schaden zufügte, sich schuldig gemacht hatte, „erhielt zusätzliche Arbeitsschichten aufgebrummt.“ (via) Man bekam also noch eine auf’s Kerbholz! (Siehe auch ÖO Nachrichten)

In den Alpen heißen die Hölzer auch Alpbeile, Krapfent-, Beit- oder Schaftesseln, dokumentiert das Alpine Museum der Schweiz.

Dort wurden nicht nur Geldschulden oder Steuern dokumentiert, sondern auch wie viel Stück Vieh ein Hirte mit auf die Almweide nahm oder wer wieviele Wasserrechte hatte. Auf den Inseln wiederum (Beispiel Hiddensee), dokumentierten die Fischer-Gemeinschaften die Fangmengen ihrer Mitglieder.

Weiterlesen: z.B. in diesem historischen Lexikon

3 Gedanken zu „Auch Commoners „haben was auf dem Kerbholz“

  1. Liebe Silke Helfrich, leider sehe ich in dem Blog keine Kontaktmöglichkeit, daher schreibe ich meine Frage als Kommentar. Sorry für die brachiale Form des Kommunikationsbeginns. 😉

    Also hier die Frage: Wie können wir in Kontakt kommen? Ich würde gerne über ein Projekt „Portugal und die Krise“ sprechen. Viele Grüße aus Portugal! Raphael Bolius

  2. Liebe Silke Helfrich, leider habe ich noch keine Antwort auf meine Frage. Ich glaube, das liegt daran, dass meine Kommentare automatisiert freigeschalten werden. Ich schicke daher noch einen Kommentar, diesmal von einem anderen Browser aus, und mit meiner zweiten Emailadresse, damit ich nicht automatisch freigeschalten werde. Meine Frage ist, ob Interesse an der Zusammenarbeit bei einem Projekt „Portugal und die Krise“ besteht. Ich lebe in Portugal und bin daher täglich mit den Fakten dieses Themas konfrontiert.

    Das Projekt würde ich selbst durchführen – keine sorge. Ich suche aber vor dem Beginn der Arbeiten Partnerseiten, die sich mit passenden oder ähnlichen Themen beschäftigen. Und den Commonsblog lese ich einfach gerne….

    Mein „Kommentar“ oben sollte dann auf jeden Fall gelöscht werden.

    Nochmals sorry für die brachiale Art der Kontaktaufnahme, aber ich sehe leider kein Kontaktfeld auf der Seite. 😉 Vielleicht bin ich auch zu ungenau beim Suchen.

    Meine Kontaktmails: mailto@raphael-bolius.com oder mail@homepage-4-you.net
    Viele Grüße aus Portugal
    Raphael Bolius

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